So nicht, Europa!
gewesen, stellte die E U-Kommission später fest. 47
Im Herbst 2009 flog der ganze Schwindel auf. Ein Schuldenloch von fast 300 Milliarden Euro tat sich im Staatshaushalt auf, bei einem Defizit von 13,6 Prozent. Rating-Agenturen stuften Griechenlands Zahlungsfähigkeit herunter, und die Regierung sah sich, in der Hoffnung, auf
den Finanzmärkten Devisen eintreiben zu können, gezwungen, die Zinsen für griechische Staatsanleihen auf Höhen zu treiben,
die für die marode Volkswirtschaft kaum zu bewältigen waren. Das Land drohte bankrottzugehen.
In Brüssel machte sich Entsetzen breit. Was würde mit dem Euro geschehen, wenn Griechenland zahlungsunfähig wurde? Würden
andere Euro-Länder, die in Kalamitäten steckten, durch Spekulationen an den Finanzmärkten mit nach unten gerissen? Man befürchtete,
dass Wetten auf das Scheitern von Staaten eine
selffullfilling prophecy
auslösen könnten. Eine Art von Optionengeschäften besteht darin, auf eben diese Wahrscheinlichkeit zu setzen – ungefähr so,
als würde ein Hausbesitzer darauf warten, dass das Haus seines Nachbarn abbrennt, weil er in diesem Fall eine Prämie bekäme.
Als Wackelkandidaten, die ein solcher Dominoeffekt treffen könnte, galten die so genannten »PIIGS«-Länder: Portugal, Irland,
Italien, Griechenland und Spanien.
Sie wirtschaftspolitisch alle in eine Schublade zu werfen, wäre allerdings etwas unfair. Kein anderes Land hatte eine derart
miserable Fiskalpolitik betrieben wie Griechenland. Die übrigen hattenvor allem mit negativem Wirtschaftswachstum zu kämpfen. Doch da Griechenland nun einmal am Anfang einer womöglich verheerenden
Kettenreaktion im Euro-Raum stand, stellte sich den Hauptstädten Nordeuropas die Frage: Sollen die reichen Euro-Partner den
Hellenen aus der Patsche helfen?
Die meisten E U-Länder waren zusammen mit Kommissionschef Barroso der Ansicht, ja. Griechenland brauche die schnelle Solidarität der Gemeinschaft.
Immerhin, argumentierten sie, ginge es um den Ruf der gesamten Familie. Wenn die Euro-Staaten nicht füreinander einstünden,
werde die Glaubwürdigkeit der Gemeinschaftswährung leiden. Die EU müsse einen Notfallplan für Griechenland auflegen und bilaterale
Kredite bereitstellen. Die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde drängte Berlin, dieser Haltung
zuzustimmen. Die wirtschaftlichen Stärke Deutschlands, so ihr Argument, habe schließlich mit Schuld an der Schwäche anderer.
Sein Außenhandelsüberschuss erlaube Deutschland im E U-Vergleich geringe Lohnstückkosten, rechnete die Französin vor. Es sei daher ein Gebot europäischer Solidarität, die Arbeit in Deutschland
zu verteuern: »Wir brauchen ein klares Gefühl für das gemeinsame Schicksal, das wir mit unseren Partnern teilen.« 48
Die Ansicht, dass es dem griechischen Staatshaushalt hilft, wenn deutsche Facharbeiter mehr Geld verdienen, ist nun nicht
zwingend logisch. Was stimmt, dürfte die Annahme sein, dass Deutschland wie kein anderes Land vom Euro profitiert hat. Der
deutsche Handelsüberschuss, also die Summe, die übrig bleibt, wenn man das Import- vom Exportvolumen abzieht, betrug 2009 134 Milliarden Euro. 115 Milliarden davon stammen aus dem Handel mit E U-Ländern . Seit es den Euro gibt, hat diese Quote deutlich zugenommen. Der Schluss also, dass deutschen Fabrikanten das weggefallene
Wechselkursrisiko innerhalb Europas massiv zugute gekommen ist, liegt nahe. Doch all dies kann kein Grund sein, die deutsche
Außenhandelsbilanz zugunsten vermeintlicher E U-Solidarität zu schmälern. Die Lage lässt sich vielmehr auch umgekehrt betrachten. Was ist es, könnte man fragen, eigentlich für eine
Stabilitätsgemeinschaft, die im Angesicht eines vergleichsweise unbedeutenden Teilhabers wie Griechenland (seine Wirtschaftskraft
entspricht ungefähr der von Hessen) sofort weiche Knie bekommt und vor genau den Prinzipien einknickt, die dem Eurointernationale Glaubwürdigkeit sichern sollen? Ein Kerngedanke des Stabilitätspakts, der dem Euro zugrunde liegt, ist niedergelegt
in Artikel 125 des Lissabon-Vertrages. Er lautet:
Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen (…) und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten
ein
. Ergänzt wird diese Bestimmung durch eine weitere Vorschrift. Artikel 123 untersagt der Europäischen Zentralbank ebenso wie
den nationalen Notenbanken, Ȇberziehungs- und andere
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