So nicht, Europa!
Kreditfazilitäten« für Zentralregierungen zur Verfügung zu stellen.
Juristisch ist der Fall also klar. Kein Euro-Land darf für die Sünden eines anderen bluten. Finanzspritzen aus Brüssel oder
Berlin an Griechenland wären dem Wortlaut des E U-Vertrages nach rechtswidrig.
Zur Überraschung vieler europäischer Staatskanzleien gab sich die Bundesregierung hart und nahm im Frühjahr 2010 genau diese
Position ein. Im Bundeskanzleramt kamen auf dem Höhepunkt der Krise fast täglich Wirtschaftsexperten und Wissenschaftler zusammen,
um mit der Regierungsspitze über die Lage zu diskutieren. Das Ergebnis war klar. Wenn die EU weich werde und entgegen der
Vertragslage Griechenland zur Hilfe komme, könnte das einen Dammbruch auslösen. Ein Regierungsvertreter machte deutlich, dass
die Euro-Gruppe keine Gefälligkeitsgesellschaft sei: »Es geht um die grundlegende Ausgestaltung der Stabilitätsgemeinschaft.
Die Frage lautet: Soll es eine Entwicklung hin zu einem Finanzausgleich unter den Euro-Ländern geben oder nicht? Für die Bundeskanzlerin
ist klar, dass eine solche Entwicklung durch die europäischen Verträge nicht gedeckt ist. Die Bundesregierung sieht sich hier
nicht als Sachwalterin des deutschen Sparers, sondern der Rechtsgemeinschaft.«
Dass sich die Bundesregierung bei dieser Entscheidung auch als Sachwalterin ihrer Beliebtheit im Wahlvolk sah, darf man getrost
annehmen. 68 Prozent der Deutschen lehnten laut einer ZD F-Um frage Ende März 2010 deutsche Finanzhilfen für Griechenland ab, nur 28 Prozent waren dafür. »Verkauft doch eure Insel, ihre Pleite-Griechen!«, hatte zuvor die ›Bild‹-Zeitung genüsslich provoziert
und der Kanzlerin den martialischen Ehrentitel »Euro-Fighterin« verliehen. Griechische Boulevardblätter verglichen Angela
Merkel ihrerseits prompt mit Adolf Hitler.
Unbeeindruckt von solchen Wallungen hielt Berlin daran fest, dass der bessere Europäer in der Krise derjenige sei, der standhaft
bleibt und die Architektur des Systems stützt. Berlin bestand deshalbnicht nur darauf, dass die bestehenden Spielregeln angewendet würden. Die Bundesregierung wollte auch noch neue, härtere,
einführen. Aus Sicht der Nation, die immerhin die D-Mark aufgegeben hatte, um den Euro Wirklichkeit werden zu lassen, war es bei der Anwendung das Stabilitätspaktes schon lange zu
nachsichtig zugegangen. Als die Wirtschafts- und Währungsunion in den 90er-Jahren konstruiert wurde, so zeigte sich jetzt,
hatte man es unterlassen, ein paar tragende Balken einzuziehen. Geschaffen wurde eine Zone gemeinsamer Währung, ohne zugleich
Eckpfeiler für eine gemeinsame Fiskalpolitik einzurammen. Einzelne Staaten durften so mit ihren Budgets Schindluder treiben.
Schlimmer noch, sie konnten es auch ungestört tun, weil die Aufsicht über die Disziplin ausgesprochen schlaff ausgestaltet
war.
Die Beamten des Europäischen Statistikamtes Eurostat in Luxemburg, die die Daten über die europäischen Volkswirtschaften sammeln,
sind nicht ermächtigt, deren Richtigkeit an der Quelle zu überprüfen. Sie müssen sich auf das Material verlassen, das die
Nationen ihnen liefert. Schon 2005 schlugen die Statistiker Alarm und verwiesen die Brüsseler Gremien darauf, dass die Angaben
der griechischen Regierung offenkundig nicht stimmten. Doch kaum jemand nahm die Warnungen ernst. Die Kommission forderte
zwar, Eurostat müsse mehr Kompetenzen bekommen, doch »da waren«, wie ihr Präsident José Barroso später sagte, »einige Mitgliedstaaten
dagegen, gerade auch Deutschland.« 49 Deutschland unter der Regierung Schröder und Frankreich waren es zudem, die, wie schon geschildert, 2003 / 04 die Maastricht-Kriterien brachen und sich jede Kritik aus Brüssel daran verbaten. »Von den kleineren Ländern wurde dies
als eine Art Freifahrtschein betrachtet«, sagt im Rückblick Jean-Pierre Jouyet, der Präsident der französischen Finanzmarktaufsicht,
»sie hatten den Eindruck, es gebe keine Regeln. Die Vorstellung von Ernsthaftigkeit war dahin.« Seit spätestens 2004, resümierte
Jouyet später, sei sowohl der Kommission wie auch der Europäischen Zentralbank klar gewesen, dass die Griechen schummelten. 50 Auf die Frage, warum im Angesicht all der Daten-Fälschungen nicht einmal die Regierungsversammlung im Europäischen Rat aufmuckte,
findet ein ranghoher Ratsbeamter, der nicht genannt werden möchte, im Nachhinein eine ebenso menschliche wie ernüchternde
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