So schoen Tot
hatten wir uns beinahe zwei Jahrzehnte am ersten Samstag im Monat getroffen, meist zu einem gemütlichen Abendessen, nämlich dem Grillteller bei Sokrates, unserem Lieblingsrestaurant. Dort besprachen wir wichtige Dinge wie die Frage, ob Lissy den Drogerietuben Ade sagen und endlich ihre Haarebeim Friseur färben lassen sollte, ob 300 Euro für ein Paar Schuhe
ziemlich
viel oder
zu
viel seien und warum die blödesten Kollegen immer die besten Bildschirme bekamen. Das Ganze krönten wir mit einem Kneipenbummel – früher gab es Piña Colada und nun, da wir nicht nur volljährig, sondern wirklich erwachsen waren, Unmengen von Weißwein. Kurz, wir waren beste Freundinnen.
Doch dann kam Benno.
Zumindest hatte ich zuerst gedacht, dass Benno der Quell des Übels sei. Benno war ein hübscher junger Anwalt mit 90er-Jahre-Koteletten und einem doofen Namen, und Lissy liebte ihn wie wild. Sie mutierte in atemberaubender Geschwindigkeit zum Spießer, verbrachte die Abende ihren Berichten nach nicht mehr in Kneipen, sondern mit Benno vor dem Fernseher, wobei kein Pro 7 mehr lief, weil Benno Pro 7 primitiv fand.
Erst hatte ich Benno im Verdacht, dass er an der Sache mit dem Grillteller schuld war. Lissy verweigerte nämlich plötzlich den Grillteller. Sie verweigerte überhaupt jede Art von Fleischgenuss. Und es dauerte nicht lange, da verweigerte sie auch Tsatsiki, ebenso wie alle anderen tierischen Produkte.
Tierische Produkte – das war Leder, und das waren auch Schuhe. Und das wiederum war Verrat! Fortan musste ich mich allein vor mir rechtfertigen, wenn ich teure Schuhe kaufte, von Lissy hatte ich keine moralische Unterstützung mehr zu erwarten. Das war schlecht.
Noch schlechter war, dass sie auch tierische Produkte auf fremden Tellern nicht ertrug. Am wenigsten ertrug sie Menschen, die diese verzehrten. Sie sprach viel über das Gebiss des Menschen und was es über die ihm zugedachte Nahrung verriet, außerdem darüber, was unser Darm wohl zu all dem tierischen Eiweiß sagen würde, wenn man ihn nur fragen würde.
Lissys imaginäre Dialoge mit meinem Darm gaben mir ehrlich gesagt den Rest. Trotzdem hielt ich aus. Das lag zum einen daran, dass beste Freundinnen nun mal beste Freundinnen sind, zum anderen an Lissys mutmaßlicher Trauer um Benno – aber dazu später.
Unsere Treffen fanden also weiterhin pünktlich am ersten Samstag im Monat statt, aber die Stimmung wurde immer gereizter. Wir stritten über das Fleisch auf meinem und das welke Grün auf Lissys Teller, und Lissy wurde zunehmend moralinsaurer, überschüttete mich mit Vorwürfen und zeigte keinerlei Interesse an allem, was ich erzählte. Ihr Interesse galt nur noch ihrer Ernährung und ihr Mitleid allem, was den Weg auf meinen Grillteller fand. Die Folge war, dass ich in Lissys Gegenwart kein Fleisch mehr zu mir nahm. Das war also das Ende vom Grillteller. Nebenbei, es war auch das Ende von Latte Macchiato und Co. Stattdessen orderte Lissy jetzt, wenn die Speisekarte nichts bereithielt, was ihr vegan genug erschien, heißes Wasser für uns beide und versenkte darin ihre mitgebrachten staubigen Teebeutel, die nach ihrer Einschätzung wundersame ayurvedische Wirkung entfalteten, während sie nach meiner Einschätzung vor allem den Geruch alter Socken verströmten.
Und dann breitete Lissy den umfangreichen Schatz ihres Veganer-Wissens vor mir aus, alle möglichen Dinge, die ich lieber nicht wissen wollte. Unter uns: Lissy lag vermutlich teilweise gar nicht falsch mit dem, was sie sagte, das änderte jedoch nichts daran, dass mein moralisches Bewusstsein nicht stark genug für den betörenden Geruch des Grilltellers von Sokrates war.
Ich habe ja nichts gegen Vegetarier. Ich habe nur etwas gegen die Ernsthaftigkeit, die sie verbreiten.
Auf jeden Fall durfte es keinen Streit mehr mit Lissy geben, denn im Streit gibt ja bekanntlich ein Wort das andere,und man sagt manchmal Dinge, die man unter normalen Umständen lieber für sich behalten hätte.
***
Thai-Massage also. Ich konnte mit gesunder Ernährung und jederart esoterischem Firlefanz nichts anfangen und hatte, kein Wunder bei Lissys exzessiver Fleischfresserverfolgung, sogar gewisse Aggressionen entwickelt. Aber ich beugte mich meinem Schicksal und stöckelte auf meinen nagelneuen Schuhen – Louboutins – hinter Lissy her in den Laden.
Ein Klimpervorhang kündigte unser Kommen an und sollte uns vermutlich auf eine esoterisch-sinnliche Erfahrung einstimmen. Drinnen empfingen uns
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