So schoen und kalt und tot
anzuklopfen betrat Benjamin McGregor das exklusiv eingerichtete Lesezimmer. „Hab ich was verpasst?“ Er wirkte geistesabwesend.
„Du hast nichts verpasst, mein Sohn“, antwortete Ian lächelnd. „Aber es ist gut, dass du kommst. Deine Mum und ich haben dir etwas mitzuteilen.“
„Ich weiß schon. Tante Daisy kommt und kriegt hier ihr Kind. Doktor Mulligan soll dabei sein. Aber ich würde das nicht tun“, fügte er mit geheimnisvollem Blick hinzu. „Sie wird es bereuen, dass sie nicht in Glasgow geblieben ist.“
„Was hast du gegen Doktor Mulligan?“, fragte Angela überrascht. „Er ist ein fähiger Arzt.“
„Bei Leslie hat er wohl versagt, sonst wäre sie nicht so krank“, murrte Benjamin respektlos.
„Dafür konnte Doktor Mulligan nichts“, widersprach Angela. „Du weißt, dass es mir während der Schwangerschaft sehr schlecht ging. Das ist der Grund dafür, dass deine kleine Schwester noch immer sehr schwach ist.“ In den Augen der schönen Lady standen Tränen, als sie an ihr kleines Töchterchen dachte, das so hübsch aussah und gleichzeitig doch so zart war, dass sie ständig Angst hatte, es wieder zu verlieren.
„Und was hat das alles mit mir zu tun?“ Benjamin wurde wieder nervös, ein Zeichen, dass ihn alles langweilte. „Ich mag Tante Daisy, aber wenn sie ein Kind bekommt, kann sie nicht mit mir in den Park.“
„Darum geht es doch gar nicht. Natürlich wird Tante Daisy viel im Park sein, wenn das Wetter gut ist. In ihrem Zustand wird sie spazieren gehen und sich sicher oft auf die Bank setzen und dir zusehen, wenn du gerade mal Zeit hast und ebenfalls draußen bist.“
„Warum sollte ich keine Zeit haben? Was willst du mir sagen, Mum?“, fragte der Junge argwöhnisch.
„Mit dem Zug, den auch deine Tante Daisy genommen hat, wird wahrscheinlich eine weitere Frau ankommen, die ebenfalls bei uns einzieht. Ich habe ihr die beiden Zimmer neben dem deinen gegeben.“
Mit dieser Erklärung konnte Benjamin nicht viel anfangen. „Und wer ist diese Frau?“, fragte er, nicht besonders interessiert. „Habt ihr die Zimmer vermietet? Macht sie bei uns Urlaub?“
Angela lachte unsicher. „Nicht direkt“, antwortete sie zögernd. „Mrs. Mansfield ist Erzieherin und Lehrerin. Sie wird dafür sorgen, dass du endlich etwas lernst. Die anderen Lehrer hast du ja alle in die Flucht geschlagen, mein Sohn.“
„Das kann nicht dein Ernst sein, Mum.“ Benjamin zuckte entsetzt zusammen und ließ sich auf einen Sessel fallen. Seufzend streckte er seine langen Beine weit von sich. „Was soll ich mit einer Nanny? Ich werde bald zwölf.“
„Mrs. Mansfield ist keine Nanny sondern eine Lehrerin. Sie hat viele Jahre die höheren Klassen auf einer Privatschule in London unterrichtet. Jetzt ist sie bereits auf dem Weg zu uns. Sie bringt auch ihren Freund mit, einen großen Hund.“ Angela erwähnte das nur, weil sie hoffte, ihren Sohn damit gnädig zu stimmen. Sie wusste ja, wie sehr er Tiere liebte.
„Was soll der Unsinn? Ich brauche keine Lehrerin. Was ich wissen muss kann ich von Dad lernen. Ich lasse mich nicht einsperren.“ Das Gesicht des Jungen war totenblass.
„Niemand wird dich einsperren, Benjamin“, versuchte Angela ihren Sohn zu beruhigen. „Im letzten Jahr hast du drei Privatlehrern das Fürchten beigebracht. So kann es nicht weiter gehen, das wirst du doch hoffentlich einsehen.“
„Wenn du im Leben bestehen willst, dann musst du sogar sehr viel lernen“, mischte sich nun auch der Laird ein. Ian McGregor hatte in seiner Jugend die besten Schulen besucht, und er hatte keine einzige Stunde des Lernens je bereut. „Du bist elf Jahre alt und hast noch keine einzige Schule länger als ein paar Stunden von innen gesehen. Wir haben dich gewähren lassen unter der Bedingung, dass du dich den Anweisungen eines Privatlehrers fügst.“
„Hab ich doch getan.“ Benjamin grinste, doch das Lachen erreichte nicht seine Augen. Die blieben ernst und wirkten beinahe etwas feindselig.
„Nichts hast du getan, mein Sohn“, brauste Ian auf. „Du weißt, dass wir dich von Herzen lieben. Aber wir können nicht zulassen, dass du frei wie ein Fohlen den ganzen Tag durch den Park läufst und deinen Seelengarten pflegst.“
Benjamin zuckte zusammen. „Wieso weißt du denn davon?“ Er starrte seine Mutter vorwurfsvoll an. „Hast du ihm erzählt?“ Seine Blicke durchbohrten die schöne
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