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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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das war wieder wunderschön.

    Ich schaue aus dem Fenster und staune, als hätte ich noch nie Sonne und Wolken gesehen.
     
    Nach dem Abendessen haben wir ein bisschen dies und das geredet und irgendwann kamen wir auf die Religion zu sprechen. Das war erst schrecklich schwierig. Ich wollte wissen, was sie von Gott, Jesus und Maria hält. Nein, stimmt gar nicht. Eigentlich habe ich nur gefragt, ob sie an Gott glaubt.
    Und da hat sie eher abgewinkt und mir erzählt, dass sie mit all dem Jenseitsdenken nicht so viel anfangen kann, dass sie eher die kleinen, irdischen Dinge liebt, die Natur und was weiß ich. Je mehr sie mir vorschwärmte, wie schön doch das Irdische sei, desto stärker habe ich das als Vorwurf aufgefasst, dass ich das ja nicht so sehen könne. Das war ein Riesenmissverständnis. Aber ich war erst einmal ziemlich angeschossen, zumal ich gerade jetzt doch auch hier sitze und aus dem Fenster schaue und staune, als hätte ich noch nie Sonne und Wolken gesehen. Aino wiederum verstand überhaupt nicht, warum ich so aggressiv reagiert habe.
    Doch das Tolle war, dass wir es dann doch hingekriegt haben. Vor ein paar Wochen hätte das nie und nimmer geklappt, dass man da aus so einem Durcheinander wieder rauskommt. Das ist auch etwas Positives an der Situation hier, dass man sanfter miteinander umzugehen lernt. Vielleicht auch, dass man nicht so schnell aufgibt, dass man wirklich versucht, den anderen zu verstehen, und sich bemüht, verstanden zu werden. Als Aino kurz auf dem Klo war, habe ich jedenfalls mit mir selbst gesprochen, auch leise mit Papa geredet, habe gesagt, ich muss ihr das jetzt lassen und sie muss mir das lassen. Keiner kann und darf dem anderen jetzt irgendetwas aufzwängen. Und als sie wiederkam, habe ich einfach versucht zu erklären, was mir meine drei Leute da oben bedeuten. Das ist natürlich auch nicht so leicht gewesen. Aber schafft das heutzutage überhaupt jemand, über seinen Glauben, von mir aus auch über seinen Nichtglauben, zu sprechen, ohne ins Rutschen zu kommen? Meistens wird doch sowieso einfach geschwiegen. Aber Aino hat geduldig zugehört, auch als ich mich verzettelt habe, sie hat gemerkt, wie wichtig mir das ist.
    Ich habe jedenfalls gesagt, für mich steht Maria für Liebe, Wärme, Zuneigung, Geborgenheit, Mutter, Schwester, was weiß ich. Sie ist einfach die Personifikation von Geborgenheit und Liebe und Schutz. Auch die Begleiterin durch den dunklen Gedankenwald.
    Bei Jesus liegen die Dinge schon komplizierter. Er ist derjenige, der das Leidwesen in die Welt gebracht hat, jedenfalls für die christliche Religion. Nicht das Rechtswesen oder das Geldwesen, sondern das Leidwesen. Was das ist, ist schwer zu beschreiben, und deshalb ist auch Jesus schwer zu beschreiben. Man kann über das Bild seines Leidens vieles denken. Man kann denken, dass diese drei Stunden am Kreuz doch lächerlich sind im Vergleich zu den Millionen, die vor ihm und nach ihm viel schlimmeres Leid erfahren mussten. Das habe ich in meinerWut hier ja auch mal lauthals verkündet. Aber das Wesen des Leids, wann Leiden überhaupt beginnt, wie man es aus eigener Kraft überwindet, ob das Leiden vielleicht auch etwas Sinnvolles in die Welt trägt, es also eine Funktion hat – das sind Fragen, die man anhand seiner Geschichte diskutieren kann.Aber das ist schwer zu erklären, da hake ich immer wieder.
    Gott ist für mich natürlich das Prinzip, das alles miteinander verbindet. Natürlich auch Christen, Buddhisten, Hinduisten und ich weiß nicht wen. Alle Kräfte gehören zusammen. Daher gibt’s eigentlich auch keinen Anfang und kein Ende. Und deshalb geht dieses Leiden, um das es bei Jesus geht, mit dem Tod vielleicht auch gar nicht zu Ende, weil es eigentlich nie angefangen hat. Ich habe Aino diesen Absatz aus dem Buch von Nürnberger vorgelesen, wo er schreibt, dass die Utopie Gottes so lange scheitert, bis nicht alle Menschen darauf verzichten, ihr Schicksal selbst bestimmen zu wollen. Das geht natürlich politisch gesehen gar nicht. Natürlich soll der Mensch eingreifen. Er muss einspringen für andere, die es nicht können. Er muss Platz machen für andere, die keinen Zugang zu Ressourcen haben. Er muss auch kämpfen, klar. Aber dieses Element des Kampfes, des Kriegerischen macht diese Momente des Eingreifens zumindest zwiespältig.
    Man könnte aus dem, was Nürnberger schreibt, natürlich auch Konsequenzen ziehen. Man könnte sagen: Da diese Utopie Gottes bis heute nicht verwirklicht ist, ist die

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