Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
Vom Netzwerk:
geht.
    Na ja, ich werde mal schauen, wie ich all das, was ich jetzt so überlege, demnächst einbringen kann. Heute war jedenfalls ein guter Tag. Ein paar Sachen sind auf dem Weg. Das ist ja schon mal was. Und vielleicht kann ich trotzdem anschließend Pizza essen gehen.

[ Menü ]
    Mittwoch, 6. Februar
    Ich wundere mich über mich selbst. Obwohl die Nachricht kam, dass die Histologieergebnisse erst am Freitag kommen, bin ich immer noch gut gelaunt. Der Lachanfall von gestern wirkt vielleicht noch nach. Ich gehe hier jedenfalls in einer Langsamkeit über den Gang, die mich eigentlich zur Verzweiflung bringen müsste. Ist aber nicht so. Stattdessen genieße ich das Gefühl, dass ich den Takt des Gehens vorgeben kann. Klar können die Leute jetzt mit mir ein Gespräch anfangen, loslatschen, und nach zwanzig Metern sind sie weg. Und ich stehe noch da und die wundern sich nur, warum ich nicht antworte. Aber das ist auch nicht schlecht. Das hat auch Vorteile.
    Daher bin ich immer sicherer, dass ich die Oper absagen sollte. Nicht nur, damit ich mich erholen kann, sondern auch damit ich mehr Zeit habe, die Dimension des Ganzen hier zu verstehen. Ich weiß ja noch nicht einmal, was es ist, was ich zu verstehen habe. Muss ich jetzt erfassen, dass es in einem Jahr, oder in zwei, oder in fünf, zu Ende ist? Oder darf ich sagen, ich habe den Weltuntergang bereits hinter mir und jetzt freue ich mich darauf, dass die Blätter an den Bäumen sprießen und irgendeine Kuh mir auf den Schuh kackt? Stimmung gut bis zur nächsten Katastrophe? Aber alleine um zu begreifen, wie sich der Weltuntergang angefühlt hat, brauche ich noch ein paar Wochen Ruhe und Konzentration.

    Natürlich sehe ich die Johanna-Inszenierung ziemlich genau vor mir, in ganz, ganz hellen Bildern, die fast wehtun, in dem grellsten Licht, das es gibt. Alle haben weiße Kostüme an, es ist fast niemand zu erkennen. Die Figuren sind ja alle Vertreter von Gesellschaftssystemen, und sobald ein System auftaucht, behauptet es zu funktionieren. Das heißt, es ist rein, es ist klar, es hat alle Farben in sich aufgenommen. Aber das stimmt eben nicht, die Figuren sind nur Vertreter einer verdreckten Kultur, die Klarheit und Reinheit vorgaukeln und so tun, als sei alles in fantastischer Ordnung. Und Johanna ist für mich der Schatten dieser Helligkeit, die dunkle Seite der Reinheit, ein Riesentumor, der das System und die Ordnung beschmutzt und deshalb ausgestoßen werden muss, um die vermeintliche Reinheit der Ordnung wiederherzustellen. Die Johanna als Tumor – man muss mal überlegen, ob man in diese Richtung geht.
    Also, ich denke schon, dass ich Ideen für die Inszenierung habe.Aber ich zweifele auch, weil ich Angst habe, dass alles zu schnell geht, dass diese Ideen nur eine Bebilderung sind. Da muss ich an den Tod meinesVaters denken. Dieses Ereignis habe ich auch sehr schnell durchs Erzählen zur Geschichte gemacht, dann wurde es zu Ausstellungen in München und Zürich. Die sind gut geworden, sie haben mir auch gutgetan, aber meine Trauer war doch ziemlich schnell im Gestrüpp derVerwertungsanlage Schlingensief junior angekommen. Wenn es jetzt um mich geht, dann darf das nicht fehlen, schon aus Gerechtigkeitsgründen nicht, finde ich. Aber es darf eben nicht zu einem Zeitpunkt stattfinden, wo die Verwertungsanlage noch gar nichts kapiert hat von dem, was sie erlebt hat.
    Deswegen muss der Druck, was die Johanna-Inszenierung angeht, raus. Ich muss die Oper nicht machen, um zu beweisen, dass ich da bin. Oder weil es mein Thema ist, weil ich das Geld brauche, weil so viele Leute dranhängen und so weiter. Das ist genau wie bei meinen Spaziergängen auf dem Gang. Wenn ich nicht um die Ecke komme, können die da vorne singen und machen, was sie wollen, dann scheiße ich erst noch mal jemandem vor die Tür. Dann müssen sie halt warten, bis das weggewischt ist.

[ Menü ]
    Donnerstag, 7. Februar
    Heute hat mich Patti Smith besucht, das war unglaublich schön. Sie sah klasse aus mit ihren 62 Jahren, ein bisschen wie ein edler Vogel. Sie hat mir die Mundharmonika von Bob Dylan geschenkt und viele schöne Sachen gesagt. Vor allem, dass es jetzt an der Zeit sei, zwischendurch zu sich zu sagen: Ja, ich bin da, ich komme. Damit meinte sie nicht, dass man allen zur Verfügung stehen sollte, sondern dass man auf seinen Körper hören soll. Wenn der Körper sich meldet und etwas braucht, dann sagt man: Hallo Magen. Ja, ich komme jetzt. Ich stehe dir zur Verfügung, ich

Weitere Kostenlose Bücher