So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
genuschelt: »Die Lebensmittel waren wahrscheinlich nicht gut.«
Das war der Traum. Ich weiß noch, dass ich fast stolz war, als ich aufwachte. Ich dachte: Ja, das ist meine Narbe, das ist meine Geschichte.
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Montag, 3. März
So, jetzt ist wieder eine lange Zeit vergangen. Ich lasse mir heute bei einem Urologen Flüssigkeit aus den Hoden entnehmen, um zu sehen, ob Spermien vorhanden sind, die man für eine künstliche Befruchtung verwenden könnte. Ist unwahrscheinlich, aber vor der Chemo will ich das auf jeden Fall klären, weil sie ja alles abtöten wird.
Wahrscheinlich denken viele: »Ach Gott, jetzt muss da auch noch ein Kind her.« Selbst wenn es so wäre: Für mich ist die Entscheidung, es doch noch zu versuchen, ein Ausdruck der Liebe zwischen Aino und mir. Wir beide haben unsere Idee von einem Kind formuliert, und das kann uns niemand nehmen – egal, was passiert. Vor allem ist es ein Zeichen, dass ich das Leben liebe und dass ich jetzt in der Lage bin, jemand anderen komplett in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist ein wunderschönes Gefühl: Das Leben braucht neues Leben, und das Tolle ist, dass man es selbst schenken kann.
Ja, gleich fahren wir los und machen das. Die letzten Tage sind recht unspektakulär verlaufen, aber eher im Positiven als im Negativen. Die Chemotherapie hat noch nicht begonnen, soll aber wahrscheinlich nächste Woche starten. Dann sind schon sechs Wochen seit der Operation vergangen. Das ist aber kein Problem, weil es nach einem so heftigen Eingriff üblich ist, die Dinge erst richtig heilen zu lassen. Ich kann auch wieder auf der Seite liegen, nur das Umdrehen ist noch ein bisschen mit Schmerzen verbunden. Aber die Grundstimmung ist gestiegen und ich kann wieder spüren, dass es weitergeht und dass das Leben etwas Wunderschönes ist. Die Trauer, dass ich in meiner Freiheit und meinem Tatendrang beschnitten bin, ist zwar weiterhin da, aber es gibt viel mehr lustvolle Momente.
Eins ist klar: Wenn die Sache hier gut läuft, dann werde ich alles dafür tun, nicht zu vergessen, wer ich in den letzten zwei Monaten gewesen bin. Das darf ich nie mehr vergessen. Amen.
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Dienstag, 11. März
Ich habe mich endgültig entschieden, die Chemotherapie nicht in Zehlendorf zu machen.Inzwischen bin ich imAnthroposophischen Krankenhaus in Havelhöhe in Behandlung. Der Arzt dort ist trotz anthroposophischer Orientie-rung sehr klar und sachlich, hat vor allem überhaupt keinen Druck wegen der Chemo ausgeübt und meinte, ich solle ruhig noch ein bisschen zu Kräften kommen. Daher habe ich erst einmal mit der Misteltherapie angefangen, sechs Spritzen habe ich schon bekommen. Jetzt ist der ganze Bauch rot, aber das ist ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass mein Körper darauf reagiert. Doch langsam kommt auch aus Havelhöhe ein bisschen Druck. Auch sie sagen, dass man jetzt mal ein bisschen Tempo geben muss, dass man nicht zu lange warten sollte.
Ich weiß ja, dass ich diese Chemotherapie und anschließend auch die Bestrahlung machen muss. Und ich weiß auch, wie privilegiert ich bin, dass ich in diesem extrem reichen Teil der Welt lebe, wo solche Behandlungen überhaupt zur Verfügung stehen. Trotzdem merke ich, wie sehr mir das widerstrebt, dieses Gift in mich reinkippen zu lassen. Das ist doch pervers, sich das freiwillig anzutun. Und dann Horrorgeschichten hier, Horrorgeschichten dort. Alle reden vom Kotzen, alle reden vom Haarausfall, von Katastrophen und Immunschwäche, du bist fertig, du kannst nur noch vor dich hin dämmern oder ich weiß nicht was.
Als ich auf der Suche nach einer Alternative zu Zehlendorf war, bin ich in einer Praxis gewesen, die die Chemo ambulant macht. Schon als ich reinkam: irgendwelche komischen Korbstühle und bestimmt zehn Leute, die da mit ihren Infusionsständern rumsitzen und die Chemie in sich reinsuppen lassen. Die sitzen da fünf Stunden, der eine mit Haar, der andere ohne Haar, Perücke schief, Perücke nicht schief. Ein Horror! Das sind doch Menschen! Ich verstehe nicht, warum man den Krebs nicht als ganzheitliches Problem sieht, warum man nicht begreift, dass man dem Patienten Kraft geben muss, auf allen Ebenen. Man kann doch nicht einfach Senfgas spritzen und anschließend sagen: Geheilt. Und tschüss, machen Sie’s gut. Das geht doch nicht! Ich kann mir ja vorstellen, dass man, wenn man schon zig Chemotherapien gemacht hat, einfach sagen kann: Ja komm, Bus fahren, Stecker dran. Aber wenn man neu im Geschäft ist, dann ist das alles
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