So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
eine Katastrophe.
Ich entwickele jedenfalls gerade enorme Widerstände gegen diese Chemo. Und ich bin mir sicher, dass es in zwanzig, vielleicht dreißig Jahren großes Gelächter geben wird, wenn man sich daran erinnert, dass man früher Krebs mit Chemotherapie behandelt hat. Das sagen ja auch viele Schulmediziner. Man wird irgendwann einen besseren Weg finden, als das eh schon geschwächte Immunsystem weiter zu schwächen. Aber diese Zukunftsmusik nützt mir jetzt natürlich auch nichts.
Inzwischen sind nicht nur die Ärzte, sondern auch fast alle meine Freunde nervös, weil sie befürchten, dass ich abspringe. Es kommen zig Anrufe und SMS und E-Mails: »Wir drücken dir die Daumen«, »Hoffentlich wird es nicht zu hart«, »Es ist nur eine Episode«, »Alles wird gut« und so weiter. Ist natürlich alles total lieb, aber im Augenblick kann ich das kaum ertragen. Bin natürlich selbst schuld: Wer am System Schlingensief beteiligt sein wollte, musste ja immer all meine Launen und Krisen ertragen und Anteil nehmen. Da durfte keiner sagen:Was hat der Typ? Der soll sich endlich behandeln lassen und mal normal werden.
Tja, das habe ich jetzt davon. Jetzt ertrage ich diese Anteilnahme und Aufmunterungen nicht, weil sie Druck erzeugen. Und weil ich wieder das Gefühl bekomme, ich müsse irgendjemand etwas beweisen. Das will ich nicht mehr.Wichtig ist, dass ich entscheide, ob ich die Chemo mache und wann ich damit anfange. Ich muss das ganz alleine entscheiden. Ja, so muss das sein.
Insgesamt bin ich ruhiger geworden. Der Draht zu Gott, zu Jesus und Mutter Maria ist da und beruhigt mich immer wieder aufs Neue. Natürlich habe ich meine Tiefs, bei denen ich traurig bin und denke: Wieso musste das passieren? Aber ich habe mittlerweile auch meine Hochs, meine kleinen Glücksgefühle. Manchmal kann ich diese Krankheit sogar als kleines Geschenk betrachten. Vielleicht ist es auch ein großes, weil es mich in eine andere Richtung lenkt. Daher bastele ich heute Abend endlich mal wieder an meiner Zukunftsvision, an meiner Afrika-Idee. Denn an der muss man wirklich arbeiten, für die muss man Argumente sammeln und auch in den Ring steigen, aber hoffentlich nicht mehr aus Selbstverliebtheit, sondern aus Freude am Leben. Vor allem muss ich meine Angst in Dankbarkeit umwandeln, Dankbarkeit für den nächsten Tag und die nächsten Ideen, und dafür, dass Aino an meiner Seite ist und ich an ihrer Seite sein darf.
Jetzt mache ich mal das Licht aus und schaue, was die Nacht bringt. Gute Nacht.
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Mittwoch, 12. März
Heute bin ich zusammen mit Aino noch einmal nach Zehlendorf gefahren. Aliki Marini, die Oberärztin, hatte für uns einen Termin bei Professor Kaiser organisiert und es war sehr, sehr schön, ihn wiederzusehen. Zwischen uns ist wirklich eine Beziehung entstanden. Er hat mir noch einmal klargemacht, wie wichtig diese Chemotherapie ist. Er hat mich regelrecht gebeten, sie zu machen. Havelhöhe und diesen Dr. Grah dort fand er die absolut richtige Wahl. Das sei schulmedizinisch voll auf der Höhe und Grah ein erfahrener Arzt, mit dem er auch regelmäßig in Kontakt stehe. Und diese anthroposophische Medizin sei grundsätzlich eine gute Sache, weil der einzelne Patient da stärker im Mittelpunkt stehe.
Das Gespräch mit Kaiser war also mal wieder sehr, sehr gut und hat mir Mut gemacht. Danach waren Aino, Aliki und ich in der Kantine Mittagessen, da hatte ich plötzlich sogar Appetit. Kaiser kam auch noch einmal vorbei und hat sich ganz begeistert für die Widmung bedankt, die ich ihm in das Buch mit Arbeitsfotos von mir geschrieben hatte. »Auf Wiedersehen – das ist die schönste Drohung, die ich mir vorstellen kann«, hatte ich da unter anderem reingeschrieben.
Nach dem Gespräch mit Kaiser tendiere ich also doch wieder dazu, die Chemo zu machen.Vielleicht fahren wir am Wochenende noch einmal kurz weg, aber ich denke, nächste Woche werde ich mit der Sache beginnen. Dann sehen wir ja, wie das wird.
Heute Nachmittag waren Aino und ich noch gemeinsam in der Stadt und haben nach einem neuen, bequemeren Bett für uns beide Ausschau gehalten, damit ich nicht immer in diesem Pflegebett liegen muss.Wir haben auch ein sehr schönes gefunden, aber es ist ein bisschen teuer, da muss man noch einmal überlegen. Dann sind wir getrennte Wege gegangen, Aino ist ins Theater, ich bin in die Wohnung und habe mit meinem Team gute Gespräche über den Laden hier geführt. Anschließend bin ich noch einmal in die Stadt gefahren,
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