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So schwer, sich leicht zu fuehlen

So schwer, sich leicht zu fuehlen

Titel: So schwer, sich leicht zu fuehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Rosenkranz
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weiterer Moment, der mir immer wieder Angst machte, war der Tag, an dem die Konzertkleidung verteilt wurde. Auf meinen ersten Tourneen kam ich immer als Letzte dran, da die Sachen der Größe nach verteilt wurden. Je schlanker oder normaler die Figur, desto leichter für die Stylisten. Bei mir dauerte es immer länger, da das Outfit nie wirklich passte, zu eng war, zu kurz, oder einfach unschön aussah. Dieses war das erste Mal, dass sie ziemlich verzweifelt nach einer kleineren Größe suchen mussten und mir schlussendlich einen Gürtel verpassten, der den XXS-Minirock irgendwie an meinem klapprigen Körper halten musste. Ich lächelte zufrieden vor mich hin. Welch ein Glückstag!
    Morgens wurde auf dem Probencamp immer die Post verteilt. Ich freute mich immer wahnsinnig, wenn eine Karte oder ein Päckchen für mich gekommen war. Erst vor kurzem habe ich die Postkarte gefunden, die meine Mutter mir in einem Päckchen mitgeschickt hatte: Hallo, Schatz, wir hoffen, es geht dir gut und du isst auch schön viel. Wenn du immer noch solche Bauchschmerzen hast, dann nimm die Tabletten, die ich dir mitgeschickt habe .
    Tja, ich erzählte ihr immer, dass ich Bauchschmerzen hatte, in der Hoffnung, das sei eine ausreichende Entschuldigung, um nichts oder weniger zu essen.
    Ich war ziemlich froh, als die Tour endlich begann und somit die Kontrolle über mich schwieriger wurde. Wir übernachteten immer in Gastfamilien, und denen musste ich nicht viel erzählen, sie dachten wohl, ich sei schon immer so dünn gewesen. Wir bekamen von den Familien immer ein Lunch-Paket mit, das wir dann auf der täglichen Busfahrt zum nächsten Konzertort essen konnten. Meines fiel in diesem Jahr immer besonders groß aus. Die Familien mussten Mitleid mit mir gehabt haben, wie mit einem hungernden afrikanischen Kind.
    Die einzigen Gelegenheiten, bei denen wir gemeinsam essen mussten, waren während der Buspausen unterwegs und abends vor dem Konzert. Einmal wurde ich gezwungen, sämtliche Kekse zu essen, die mir meine Gastfamilie mitgegeben hatte. Ich brach in Tränen aus und hasste sie alle! Konnten sie mich nicht einfach in Ruhe lassen?
    Anna versuchte immer wieder, mich zur Vernunft zu bringen. Ich mochte sie so sehr und war gleichzeitig eifersüchtig auf sie, weil sie viel mehr Energie hatte als ich. Dennoch schaffte ich es nicht, das umzusetzen, was sie mir sagte. Wie konnte sie auch verstehen, wie ich mich fühlte? Noch vor einem Jahr waren wir uns so nah gewesen und nur im Doppelpack aufgetreten. Wir waren unzertrennlich und immer zu Scherzen aufgelegt. Doch dieses Mal unterschieden wir uns wie Leben und Tod, wenn wir nebeneinanderstanden.
    Als Annas Eltern mich sahen, verlor ihre Mama fast die Fassung. Sie bestand darauf, dass ich bei ihnen übernachtete, und an diesem Abend musste ich essen, es gab keinen Ausweg. In der Nacht lag ich wach in meinem Bett und fühlte mich grässlich. Ich konnte förmlich spüren, wie das Essen sich in meinem Körper verbreitete und die Fettzellen anschwollen. Sicher würde ich heute Nacht noch explodieren! Diese verdrehten Gedanken sind typisch für Magersüchtige. Dabei ist das natürlich totaler Quatsch –von einem vernünftigen Essen nimmt man noch lange nicht so zu, dass es irgendwie bemerkbar wäre!
    Am nächsten Morgen war ich total erschöpft und fühlte mich schrecklich. Ich schwor mir, mindestens einen Tag lang gar nichts zu essen, um das wieder auszugleichen. Bevor ich ging, gaben Annas Eltern mir noch eine große Tüte mit Süßigkeiten mit. Bis auf die zuckerfreien Kaugummis verteilte ich alles an die anderen Sänger im Bus, die sich voller Freude über meine Schätze hermachten.
    Eigentlich hatte ich jetzt erreicht, was ich immer gewollt hatte: Ich war dünn. Leider war es nicht so, dass ich als abgemagertes Mädchen glücklicher war als vorher. Eigentlich genau das Gegenteil. Jeden Tag musste ich mit mir selbst kämpfen. Immer begann er mit der Waage und der ständigen Flucht vor den Kalorien. Immer war da diese Angst, dieser Tag könnte alles verändern, weil ich vielleicht mehr essen würde als sonst. Dann wäre ich ab morgen wieder fett.
    Fazit: Ich war schwach, abgemagert und unglücklich.
    Das Ende der Tour rückte näher, und ich freute mich darauf. Denn obwohl es mir enormen Spaß machte, auf der Bühne zu stehen, nervte es mich total, dass aus meiner Sicht

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