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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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er sich geirrt hatte. Ein Weißer mittleren Alters mit Anzug und Krawatte und schwarzem Mantel hielt ihm ein Flugblatt hin. Auf seinem kahl rasierten Kopf glänzten Regentropfen. Sein Gesicht wirkte blass und teigig, der Nacken bestand aus mehreren Rollen Speck.
    »British National Party«, erklärte er, und Rebus erkannte ihn am Akzent als Londoner. »Wir wollen britische Straßen wieder sicher machen.« Vorn auf dem Flugblatt war eine ältere Frau abgebildet, die voller Angst einer Gruppe farbiger Jugendlicher entgegenblickte, die auf sie zumarschierte.
    »Gestellte Fotos?«, vermutete Rebus und zerknüllte das feucht gewordene Flugblatt in der Faust. Die anderen Männer, die sich zu beiden Seiten ihres Anführers im Hintergrund hielten, sahen deutlich jünger und ungepflegter aus, gekleidet in die inzwischen fast zum Pöbelschick avancierte Kluft: Turnschuhe und Jogginghosen, Trainingsjacken und tief ins Gesicht gezogene Baseballkappen. Die Jacken waren bis oben hin geschlossen, sodass die untere Hälfte des Gesichts im Stehkragen verschwand. Sie würden nur schwer anhand von Fotos zu identifizieren sein.
    »Wir wollen die Rechte britischer Bürger schützen.« Aus seinem Mund klang das Wort »britisch« fast wie ein Bellen. »Britannien den Briten – was ist daran falsch?«
    Rebus ließ das Flugblatt fallen und kickte es weg. »Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Ihre Definition etwas enger gefasst ist als die anderer.«
    »Sie werden es nicht erfahren, so lange Sie uns nicht eine Chance geben.« Er schob den Unterkiefer vor. Oje, dachte Rebus, und dabei versucht er noch, freundlich zu sein. Der Kerl erinnerte ihn an einen Gorilla, der zum ersten Mal versucht, einen Blumenstrauß zu binden. Von drinnen hörte man Klatschen und Buhrufe.
    »Schwer was los«, sagte Rebus und zog die Tür auf.
    Es gab einen kleinen Vorraum, von dem aus eine weitere Doppeltür in den Hauptsaal führte. Eine Bühne gab es nicht, aber jemand hatte eine Lautsprecheranlage zur Verfügung gestellt, damit derjenige, der im Besitz des Mikrofons war, auch das Worte hatte. Doch nicht alle Anwesenden teilten diese Sicht der Dinge. Einige Männer waren von ihren Sitzen aufgesprungen, um ihre Gegenspieler niederzubrüllen und mit ausgestrecktem Zeigefinger die Luft zu durchlöchern. Auch mehrere Frauen hatte es von den Sitzen gerissen. Fast alle Stuhlreihen waren voll besetzt. Rebus sah, dass den Stühlen gegenüber ein Tapeziertisch stand, an dem fünf düster dreinblickende Gestalten hockten. Vermutlich eine Auswahl hiesiger Honoratioren. Mo Dirwan gehörte nicht dazu, dennoch hatte Rebus ihn bald entdeckt. Er stand in der ersten Reihe und wedelte mit den Armen, als wollte er Flugbewegungen imitieren. In Wirklichkeit jedoch versuchte er, das Publikum zu beruhigen. Seine Hand war noch immer verbunden, und auf seinem Kinn klebte nach wie vor rosafarbenes Pflaster.
    Einem der Honoratioren reichte es. Er stopfte einige Unterlagen in seine Tasche, warf sie sich über die Schulter und marschierte Richtung Ausgang. Das Buhen wurde lauter. Rebus konnte nicht herausfinden, ob es dem Umstand galt, dass er die Waffen streckte, oder vielleicht der Tatsache, dass er zum Rückzug gezwungen worden war.
    »Du bist ein Wichser, McCluskey!«, rief jemand. Was Rebus auch nicht weiterhalf. Doch andere folgten seinem Beispiel. Eine kleine, mollige Frau am Tisch hielt das Mikro in der Hand, doch mit ihren guten Manieren und dem besonnenen Tonfall würde es ihr niemals gelingen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Rebus bemerkte, dass das Publikum bunt gemischt war: Es gab nicht nur weiße Gesichter auf der einen und farbige auf der anderen Seite. Auch sämtliche Altersstufen waren vertreten. Eine Frau hatte ihren Nachwuchs im Sportwagen mitgebracht, eine andere wedelte wild mit ihrem Gehstock durch die Luft, sodass die Umsitzenden in Deckung gehen mussten. Ein halbes Dutzend uniformierter Polizisten hatte sich unauffällig im Hintergrund gehalten, doch jetzt sprach einer von ihnen in sein Walkie-Talkie. Zweifelsohne forderte er Verstärkung an. Einige Jugendliche schienen der Meinung zu sein, dass ihr Problem just die Polizisten waren. Die beiden Gruppen standen sich in einem Abstand von nur zwei oder drei Metern gegenüber, und der wurde von Minute zu Minute kleiner.
    Rebus erkannte, dass Mo Dirwan nicht mehr weiterwusste. Er wirkte vollkommen konsterniert, als dämmerte ihm, dass er ein Mensch war und nicht Superman. Nicht einmal er konnte die Lage unter

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