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So soll er sterben

Titel: So soll er sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Kontrolle bringen. Sein ganzer Einfluss stand und fiel mit der Bereitschaft der anderen, seinen Argumenten zuzuhören: und hier war kein Mensch bereit, irgendwem zuzuhören. Rebus vermutete, dass auch Martin Luther King mit einem Megafon in der Hand hier wenig Beachtung gefunden hätte. Ein junger Mann beobachtete das Geschehen mit Entsetzen. Seine Augen ruhten einen Moment lang auf Rebus. Er war vermutlich indischer Herkunft, trug aber das gleiche Outfit wie die weißen Jugendlichen, außerdem einen einzelnen runden Ohrring. Seine Unterlippe war geschwollen und blutverkrustet, und er stand ein wenig schief, als könnte er das linke Bein nicht richtig belasten. Es tat ihm offensichtlich weh. War das der Grund für sein Entsetzen? War er das jüngste Opfer und diese Versammlung seinetwegen einberufen worden? Nackte Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben… die Angst angesichts einer solchen Eskalation.
    Rebus hätte ihn gern zu beruhigen versucht, wenn er nur gewusst hätte, wie, doch in diesem Moment wurden die Türen aufgestoßen und weitere Polizisten strömten in den Saal. Darunter auch ein älteres Gesicht: mehr Silber auf dem Revers und der Mütze als die anderen. Silber auch im Haar, das unter der Mütze hervorlugte.
    »Ruhe jetzt!«, brüllte er und marschierte selbstbewusst nach vorn aufs Mikrofon zu, das er der inzwischen nur noch flüsternden Frau ohne alle Formalitäten aus der Hand riss.
    »Ruhe jetzt, Leute, bitte!« Seine Stimme donnerte aus den Lautsprechern. »Seien Sie doch vernünftig.« Er blickte auf eine der Gestalten am Tisch. »Ich würde vorschlagen, die Versammlung fürs Erste zu schließen.« Der Mann, dem sein Blick gegolten hatte, nickte kaum merklich. Rebus vermutete, dass es sich um den Gemeinderat handelte; auf jeden Fall jemanden, dem der Polizist sich zumindest offiziell unterstellen musste.
    Dabei konnte es keinen Zweifel geben, wer jetzt das Sagen hatte.
    Rebus zuckte zusammen, als ihm jemand auf die Schulter schlug, doch es war nur ein breit grinsender Mo Dirwan, der ihn entdeckt und sich ungesehen genähert hatte.
    »Mein lieber Freund, was in Gottes Namen hat Sie hierher verschlagen?«
    Von Nahem sah Rebus, dass Dirwans Verletzungen nicht ernster waren als nach einer Prügelei zwischen Betrunkenen: einige wenige Kratzer und Schürfwunden. Auf einmal beschlich ihn der Verdacht, dass das Pflaster und der Verband vielleicht nur Show waren.
    »Ich wollte sehen, wie es Ihnen geht.«
    »Ha!« Dirwan schlug ihm erneut auf die Schulter. Dass er dies mit der verbundenen Hand tat, bestärkte Rebus in seinem Misstrauen. »Womöglich hatten Sie sogar ein winzig kleines Schuldgefühl?«
    »Ich wollte auch hören, wie es passiert ist.«
    »Na, das ist schnell erzählt – ich wurde überfallen. Haben Sie noch keine Zeitung gelesen heute? Sie können sich eine aussuchen, ich bin in allen.«
    Rebus zweifelte nicht daran, dass diese Zeitungen in Dirwans Wohnzimmer den ganzen Fußboden bedeckten…
    Doch nun wurde die Aufmerksamkeit des Anwalts von der Tatsache in Anspruch genommen, dass alle aus dem Saal gescheucht wurden. Er drängte sich durch die Menge zu dem älteren Polizisten vor, schüttelte ihm die Hand und wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann weiter zum Gemeinderat, dessen Gesichtsausdruck Rebus verriet, dass es nur noch einen einzigen verschwendeten Samstag wie diesen brauchte, und er würde sein Rücktrittsgesuch einreichen. Dirwan redete eindringlich auf ihn ein, doch als er seinen Arm packen wollte, wurde er mit Vehemenz abgeschüttelt. Also wedelte Dirwan stattdessen mit dem Zeigefinger, klopfte dem Mann auf die Schulter und kam zu Rebus zurück.
    »Meine Güte, was für ein Chaos!«
    »Hab schon Schlimmeres erlebt.«
    Dirwan musterte ihn. »Warum habe ich das Gefühl, dass Sie das immer sagen würden, egal, was um Sie herum passiert?«
    »Diesmal stimmt es zufällig«, erwiderte Rebus. »Also… kann ich jetzt mit Ihnen sprechen?«
    »Sie wollten mit mir sprechen?«
    Rebus antwortete nicht, schlug nun seinerseits Dirwan auf die Schulter und dirigierte ihn aus dem Gebäude. Draußen war eine Rangelei im Gange. Einer der Lakaien des BNP-Mannes war mit einem jungen Inder zusammengestoßen. Dirwan machte Anstalten einzuschreiten, doch Rebus hielt ihn zurück, und die Uniformierten nahmen sich der Sache an. Der Mann von der BNP stand auf einer grasbewachsenen Böschung auf der anderen Straßenseite, die Hand zu einer Art Hitlergruß erhoben. Rebus hielt ihn für ziemlich lächerlich,

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