So soll er sterben
war schon fast bei ihnen angekommen, in beiden Händen Einkaufstüten. Als sie Mangold sah, hob sie freudig die Tüten. Sie schien Siobhan noch nicht bemerkt zu haben. Siobhan wiederum hätte sie, ohne Mangolds Hinweis, nicht erkannt und ungehindert vorbeilaufen lassen.
Denn sie war wieder die alte Ishbel: das Haar wie früher gekämmt und mit der natürlichen Farbe. Nicht länger eine Kopie ihrer toten Schwester.
Ishbel Jardine schlang die Arme um Mangold und küsste ihn mit geschlossenen Augen auf den Mund. Mangold blickte über Ishbels Schulter zu Siobhan. Dann trat Ishbel einen Schritt zurück, und Mangold drehte sie ein wenig herum, sodass sie Siobhan direkt ins Gesicht sah.
Und sie wieder erkannte.
»Oh, mein Gott, Sie sind’s.«
»Hallo, Ishbel.«
»Ich geh nicht nach Hause zurück! Das müssen Sie den beiden erklären!«
»Warum sagen Sie’s ihnen nicht selbst?«
Ishbel schüttelte den Kopf. »Sie würden… sie würden mich irgendwie bequatschen. Sie kennen meine Eltern nicht. Die beiden haben lange genug über mein Leben bestimmt!«
»Da drüben gibt es einen Warteraum«, meinte Siobhan und zeigte auf die Bahnhofshalle. Der Menschenstrom war abgeebbt, Taxis krochen die Rampe zum Ausgang an der Waverley Bridge empor. »Dort können wir uns unterhalten.«
»Es gibt nichts, worüber wir uns unterhalten müssten.«
»Auch nicht über Donny Cruikshank?«
»Was ist mit ihm?«
»Sie wissen doch, dass er tot ist.«
»Ich weine ihm keine Träne nach.«
Ihr ganzes Auftreten – Stimme, Haltung – war abweisender als bei der letzten Begegnung mit Siobhan. Sie hatte sich einen Panzer zugelegt, war durch Lebenserfahrung härter geworden. Scheute sich nicht, ihre Wut zu zeigen.
Und war womöglich auch zu körperlicher Gewalt fähig.
Siobhan wandte sich Mangold zu.
»Wir reden im Warteraum«, sagte sie im Befehlston.
Aber der Warteraum war verschlossen, deshalb gingen sie durch die Halle in die Bahnhofskneipe.
»Im Warlock hätten wir’s netter«, bemerkte Mangold, nachdem er die triste Einrichtung und die noch tristere Kundschaft gemustert hatte. »Ich muss sowieso zurück.«
Siobhan ignorierte die Bemerkung und bestellte Getränke. Mangold holte ein Bündel Geldscheine hervor und sagte, er könne nicht zulassen, dass sie bezahle. Sie widersprach nicht. Niemand in dem Pub unterhielt sich, dennoch war es so laut, dass man gefahrlos reden konnte: Der Fernseher war auf einen Sportsender eingestellt; aus Deckenlautsprechern rieselte Musik; die Lüftungsanlage surrte; Spielautomaten schepperten. Sie setzten sich an einen Ecktisch, und Ishbel breitete ihre Schätze um sich aus.
»Reiche Beute«, stellte Siobhan fest.
»Nur ein paar Kleinigkeiten.« Ishbel lächelte Mangold an.
»Ishbel«, sagte Siobhan geschäftsmäßig, »Ihre Eltern haben sich Sorgen um Sie gemacht, und als Folge davon auch die Polizei.«
»Nicht meine Schuld. Ich habe Sie nicht gebeten, Ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken.«
»Detective Sergeant Clarke tut nur Ihre Pflicht«, erklärte Mangold, der anscheinend schlichten wollte.
»Und ich sage ihr, dass sie sich die Mühe hätte sparen können. Ende der Diskussion.«
»Leider stimmt das nicht ganz«, entgegnete Siobhan. »In einem Mordfall müssen wir mit allen verdächtigen Personen sprechen.«
Ihre Worte hatten den gewünschten Effekt. Ishbel starrte sie über den Rand ihres Glases hinweg an und stellte es dann ab, ohne davon getrunken zu haben.
»Ich werde verdächtigt?«
Siobhan zuckte die Achseln. »Fällt Ihnen jemand ein, der ein besseres Motiv für den Mord an Donny Cruikshank hätte?«
»Aber er war ja gerade der Grund, weshalb ich aus Banehall weg bin! Ich hatte Angst vor ihm…«
»Sie sagten, Ihre Eltern seien der Grund gewesen.«
»Stimmt, das kam noch dazu… Sie wollten, dass ich so werde wie Tracy.«
»Ich weiß, ich habe die Fotos gesehen. Ich nahm an, das wäre Ihre eigene Idee gewesen, aber Mr. Mangold hat mich eines Besseren belehrt.«
Ishbel drückte Mangolds Arm: »Ray ist mein aller-allerbester Freund.«
»Was ist mit Ihren übrigen Freundinnen und Freunden – Susie, Janet und den anderen? Ihnen muss doch klar sein, dass sie sich Sorgen machen.«
»Ich hatte vor, sie irgendwann anzurufen.« Ishbels Tonfall wirkte nun trotzig und erinnerte Siobhan daran, dass sie trotz ihres Panzers noch ein Teenager war. Erst achtzehn, etwa halb so alt wie Mangold.
»Und in der Zwischenzeit sind Sie unterwegs und geben Rays Geld aus.«
»Ich will,
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