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So still die Toten

So still die Toten

Titel: So still die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Burton
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Bedürfnis nach Aufmerksamkeit?
    Sollte er die Stadt verlassen? Das tat er immer, wenn es nicht gut lief. Er lief weg und versteckte sich.
    Der
Andere
ging im Arbeitsraum auf und ab und zog sogar in Erwägung, hinaufzugehen und eine Tasche zu packen. Was würde er packen? Wie lange müsste er sich diesmal verstecken?
    Doch als die Sekunden verstrichen und die Panikattacke langsam abflaute, spürte er so etwas wie leise Erregung in sich aufkeimen. Während er sich durch den kleinen Raum bewegte, wuchs seine Spannung immer mehr, bis sie die Furcht vollständig verdrängt hatte.
    Die Cops hatten die Knochen gefunden. Na und? Er war vorsichtig gewesen. Von ihm waren an den Knochen keine Spuren zu finden. Keine Beweise, die ihn mit seinen Taten in Verbindung brachten.
    Seine Nerven beruhigten sich, während er in Gedanken die bevorstehenden Ereignisse durchging.
    Irgendwann würden die Cops den Knochen einen Namen und ein Gesicht zuordnen. Sie würden so viel wie möglich über sie in Erfahrung bringen. Sie würden ihre Familie und ihre Freunde fragen, wer so etwas Schreckliches getan haben könnte. Aber am Ende würden sie mit leeren Händen dastehen.
    Niemand würde ihn mit ihr in Verbindung bringen. Niemand hatte sie je zusammen gesehen. Sie hatten weder E-Mails, Faxe noch SMS ausgetauscht. Sein äußerst schweigsamer Partner, der nie mit irgendjemandem über irgendetwas redete, hatte das Treffen arrangiert.
    Er stellte sich vor, wie die Cops sich im Kreise drehten und verzweifelt nach dem Täter suchten. Sie würden aufgebracht sein, sich selbst die Schuld geben, aber letzten Endes würden sie rein gar nichts finden.
    Der Gedanke, dass die beiden Detectives Kier und Garrison einen ungelösten Fall haben würden – einen Makel in ihren Dienstakten – hatte etwas. Er machte ihm sogar großen Spaß.
    Er dachte an die letzten Minuten mit der Frau zurück. Ihre Augen waren so voller Angst gewesen.
    Töte mich nicht. Verschone mich. Bitte!
    Aber das hatte er natürlich nicht getan. Die größte Lust hatte er verspürt, als er zusah, wie das Leben aus ihren Augen schwand. In jeder kostbaren Sekunde hatte der Tod ihrem Gesicht mehr Farbe genommen, bis es eine bleiche, leblose Maske war.
    Er betrachtete den weißen Oberschenkelknochen, der auf seinem Schreibtisch lag. So glatt und weiß. Wie poliertes Elfenbein. Heute Abend, wenn das Haus still war, würde er anfangen, den nächsten Bauern für sein Schachspiel zu schnitzen.

5
    Mittwoch, 5. Oktober, 9:15 Uhr
    Der Gedanke an Sierra beschäftigte Angie, während sie an einer roten Ampel stand und sich das Handy ans Ohr hielt. Sie hing in der Warteschleife und lauschte gezwungenermaßen dem Gedudel, das ihre Arztpraxis immer spielte, wenn sie die Patienten warten ließ.
    »Sierra, wo sind Sie?«, murmelte sie und trommelte mit dem Zeigefinger auf das Lenkrad. »Sagen Sie mir bitte, dass Sie keine Riesendummheit gemacht haben.«
    Die Ampel wurde grün, und der Verkehr setzte sich langsam wieder in Bewegung. Die Musik dudelte weiter, während Angie sich im Schneckentempo vorwärtsbewegte.
    In Gedanken ging sie ihren letzten Termin mit Sierra durch. Es war um Geld gegangen. Sierra hatte eine höhere Summe von ihrem Mann gewollt. Sie war wütend gewesen. Doch Angie hatte gespürt, dass die junge Frau eine Rolle spielte. Das aufgebrachte Opfer, das Waisenkind. Die Welt hatte sie wieder einmal in die Pfanne gehauen, wie Sierra nicht müde wurde zu betonen. Angie erinnerte sich, dass ihr Geduldsfaden langsam immer dünner geworden war, während sie den Tiraden der jungen Schauspielerin zugehört hatte.
    »Er hat Ihnen ein faires Angebot gemacht«, sagte Angie. »Ich lege Ihnen nahe, es anzunehmen.«
    Mit einer dramatischen Handbewegung warf Sierra ihre blonde Mähne über die Schulter nach hinten. »Ich finde mich nicht damit ab. Es ist ungerecht. Es ist ein Skandal.«
    Hinter Angies Augen pulsierten Kopfschmerzen. »Es ist ein gutes Angebot. Nehmen Sie es an, und ziehen Sie einen Schlussstrich.«
    Die grünen Augen verengten sich. »Sind Sie auf seiner Seite?«
    Verärgert lehnte Angie sich auf ihrem Bürostuhl zurück. »Sparen Sie sich die Dramatik für andere Leute auf. Mich beeindrucken Sie damit nicht.«
    Die Hysterie verschwand aus Sierras Blick. »Gut, kein Drama. Aber ich will mehr Geld.«
    Angie setzte den Blinker. Als sie scharf nach rechts in das Parkhaus bog, das einen Block von ihrer Kanzlei in der Altstadt entfernt lag, wurde die Warteschleifenmusik

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