So still die Toten
Olivia.«
»Ich weiß. Du steckst mitten in einem Fall. Aber du steckst fast immer in einem Fall. Fälle sind dein tägliches Brot. Also ist dieser Augenblick jetzt ebenso gut wie jeder andere.«
»Worum geht es dir genau?«
Sie legte ihre Hand auf seine. »Es geht mir darum, dass ich heiraten will. Und ich möchte, dass du gut darüber nachdenkst, was du willst. Wenn du nicht heiraten willst, musst du es mir sagen.«
»Ich habe einfach noch nicht so weit vorausgedacht.«
»Du weißt, worauf das hinausläuft, auch wenn du es noch nicht wahrhaben willst.«
Er fühlte sich in die Enge getrieben. »Und wenn ich nicht heiraten will?«
»Dann ziehen wir einen Schlussstrich und finden beide jemanden, der uns das gibt, was wir wirklich wollen. Ich will nicht zickig sein, Malcolm. Ich will nur mehr.«
Mehr. Eine lähmende Schwere bemächtigte sich seiner Glieder. »Mehr kann ich dir im Moment nicht bieten.«
»Wann dann?« Es klang sehr leise und traurig.
»Ich weiß es nicht.« Und er wusste es wirklich nicht. Alles, was er im Moment wusste, war, dass er einen Mörder zu fassen hatte.
Sie trank einen großen Schluck Wein und stellte das Glas wieder hin. »Ich will nicht mehr warten.«
Er konnte ihr nicht böse sein. Sie hatte von Anfang an klargestellt, was sie wollte, und das hatte er an ihr geliebt. Er hatte geglaubt, dass er sie wollte, mitsamt den Traditionen, für die sie stand. Aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher. »Wie viel Zeit habe ich?«
»In zwei Wochen werde ich dreißig. Zwei Wochen sollten ausreichen, um dir darüber klar zu werden.«
Eine gewaltige Entscheidung, und sie gab ihm zwei Wochen. Es schien kaum mehr als ein Wimpernschlag. Aber wenn er einen Verdächtigen vor sich hatte, konnte er innerhalb von Sekunden Entscheidungen über Leben und Tod fällen. »Olivia, in zwei Wochen werde ich nicht viel schlauer sein.«
Sie zögerte, als erwartete sie halb, dass er das ganze Gespräch zurücknehmen und ihr einen Heiratsantrag machen würde. Doch als er nichts sagte, nickte sie. »Okay.«
»Es tut mir leid.«
Sie stand auf und küsste ihn auf die Wange. »Pass auf dich auf.«
Er hätte sie am Handgelenk festhalten können, tat es jedoch nicht. »Du musst nicht gehen. Bleib hier und iss deinen Salat.«
Olivia lächelte angespannt, und er hatte das Gefühl, sie würde gleich in Tränen ausbrechen. Sie weinte sonst nie. Er kam sich vor wie der letzte Dreck. »Ich verzichte lieber.«
Leicht ungehalten stand er auf. »Wann ist es zwischen uns so schwarz-weiß geworden, Olivia?«
»Als du ohne mich zur Hütte gefahren bist.«
»Du hasst doch die Hütte.«
»Weil sie ein weiterer Teil deines Lebens ist, in den ich nicht hineinpasse.«
»Ich dachte, ich tue dir einen Gefallen, als ich dich nicht gefragt habe, ob du mitkommst.«
»Es wäre schön gewesen, wenn du gefragt hättest.«
Er fuhr sich mit den Fingern durch das kurze Haar. Die Wahrheit war, dass er alleine hatte fahren wollen. Er hatte sie nicht dabeihaben wollen. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. »Falls etwas ist …«
»Schon okay.« Ganz ruhig durchquerte sie den Pub, ohne eine Szene zu machen. Olivia konnte selbst eine Trennung vernünftig erscheinen lassen. Sie öffnete die Tür, ließ einen anderen Gast eintreten, und ging.
Angie betrat das King’s und ließ auf der Suche nach Eva den Blick durch den Raum schweifen. Der Alltag in der Kanzlei hatte sie auf Trab gehalten, und nach ihrem Anruf auf dem Handy ihrer Schwester hatte sie keine freie Minute gehabt. Und natürlich hatte Eva sie nicht zurückgerufen. Zweifellos hatte sie nicht einmal ihre Mailbox abgehört.
Angie ging an ihrem Stammplatz vorbei und stieß die Tür zur Küche auf. Am Herd stand King und rührte in einem Topf. Brenda, seine andere Kellnerin, betrachtete stirnrunzelnd den Bestellblock, als würde sie versuchen, sich zu erinnern, wer was geordert hatte. Und Bobby, der Junge, den King vor Kurzem adoptiert hatte und der inzwischen elf Jahre alt war, saß an einem kleinen Tisch und war mit etwas beschäftigt, das nach Mathematikhausaufgaben aussah. Der Junge trug ein Fußball-T-Shirt der Redskins und Jeans. Seine Nase war voller Sommersprossen, und das Haar fiel ihm in die Augen.
Bobby sah auf, und sein Stirnrunzeln verschwand, als er Angie erblickte. »Hey, Angie!« Er sprang auf.
»Setz dich hin«, sagte King, ohne zu dem Jungen hinüberzusehen. »Zuerst die Hausaufgaben.«
»Ja, aber Angie ist da.«
King schüttelte den Kopf.
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