So unerreichbar nah
unschuldigen Franziska. Sie rafften
beide nicht, dass Franziska eine Teufelin in Engelsgestalt war. Diesbezüglich
war ihnen ihr gewohnter Humor eindeutig abhandengekommen.
Also
verteidigte ich mich nicht. Schon in meinem Studium hatte mich die Aussage von
Milton Erickson, einem amerikanischen Psychologen und Psychotherapeuten:
"Das Unerwartete hilft immer", fasziniert.
Und so
reagierte ich völlig anders als von den heldenhaften Verteidigern meiner neuen
Kollegin erwartet. Ich riss meine Augen weit auf und lächelte die beiden naiven
Mannsbilder ungläubig an.
»Wie um
Himmels willen kommt Franziska denn auf die absurde Idee, ich könne ihr böse
sein? Wir haben uns letztens in der Küche getroffen und ich habe ihr klar
gemacht, dass ich ohnehin eine lange Warteliste habe und froh um ein paar
freiwerdende Termine bin. Ich bin ihr keineswegs böse.«
Mann,
konnte ich kaltblütig lügen!
Ich erzählte
ihnen gleich von Alicia, die von diesen freigewordenen Terminen profitierte und
stellte Franziska so dar, als ob sie mir aus der Klemme geholfen hätte. Wenn
ich nicht aufpasste, würde ich ihr noch einen Heiligenschein verpassen.
Max und
Johannes wirkten unendlich erleichtert darüber, dass es in ihrer Praxis keinen
Zicken-Guerillakrieg geben würde. Der Rest des Abends verlief dann tatsächlich,
wie von mir erhofft, ungezwungen und lustig. Aber nur, weil ich mich eisern im
Griff hatte.
Ich hätte Franziska
kaltblütig erwürgt, wäre sie dabei gewesen und meinen zwei gutgläubigen Kollegen
hätte ich wegen ihrer Hinterhältigkeit, mich hierher einzuladen, nur um für Franziska
Partei zu ergreifen, liebend gerne ihre Drinks in den Schritt gegossen.
Stattdessen lachte ich über die dämlichen, niveaulosen Witze der beiden
Vollidioten.
Gleich nach
unserem Treffen war wieder eine Sonderfahrt über die Stadtautobahn nötig, um
meinen Zorn in den Griff zu bekommen. Diesmal hatte ich meine Schnulzen-CD
eingelegt. Bei "Only You" erschien - ich schwöre - völlig
unfreiwillig Lucas mit seinem umwerfenden Grübchenlächeln vor meinem inneren
Auge. Aber diese Vorstellung verwandelte wenigstens meinen rasenden Zorn
schlagartig in schmerzliche Sehnsucht.
HYPOCHONDRIAC
Ich blickte
die verhärmt wirkende Frau, die ich auf Mitte Zwanzig schätzte, forschend an. Wenn
ihr die eigene Erscheinung nicht so offensichtlich egal gewesen wäre, könnte
sie einiges aus sich machen, schoss mir durch den Kopf. Die braunen Augen in
ihrem blassen Gesicht vermittelten Mutlosigkeit und Resignation.
»Vielen Dank,
Frau Achern, dass Sie sich bereit erklärt haben, zu mir zu kommen. Ich stecke
in einem fürchterlichen Zwiespalt fest. Einerseits traue ich mich nicht aus
meiner Wohnung heraus, andererseits fürchte ich mich in den letzten Wochen
zusehends davor, allein zu sein. Irgendjemand aus meiner Familie ist ständig
bei mir. Ich bin für alle zu einer Belastung geworden.«
Sie bat mich
über die Türschwelle, von der sie sich, wie mir auffiel, mindestens einen Meter
entfernt aufhielt, über einen geräumigen Flur hinein ins Wohnzimmer. Vor etwa
drei Minuten hatte mich ihr Bruder Wolfgang, Lisas Agenturchef, kurz begrüßt
und dann allein gelassen, um im Geschäft kurz nach dem Rechten zu sehen. Seit
sich Alicias Zustand verschlimmert hatte, wechselten er und seine Eltern sich
ab, damit sie nie allein sein musste.
Ihre große
Wohnung war hell und elegant eingerichtet. Die Fronten der Küchenschränke
glänzten rot lackiert - du lieber Himmel, wie oft musste man die putzen? - und
im Vorübergehen sah ich durch die weit offenstehende Küchentür, dass von der Backröhre
mit Dampfgarfunktion auf praktischer Augenhöhe, eingebauter Mikrowelle und amerikanischen
Kühlschrank bis hin zum Kaffeevollautomaten alle technischen Schikanen
vorhanden waren.
Die restliche
Einrichtung war ebenfalls vom Feinsten, hier war an keinem Detail gespart
worden. Wenigstens ist es ein schönes Gefängnis, was sie sich da ausgesucht
hat, schoss es mir ketzerisch durch den Kopf.
Aber ich
ahnte, dass Alicia vermutlich lieber in einem Rattenloch gehaust hätte, wenn
ihr dies ein normales angstfreies Leben garantieren würde.
Im Wohnzimmer
erzählte sie mir dann ihre Leidensgeschichte.
»Bis vor drei
Jahren ist mein Leben völlig normal, nein, sogar sehr privilegiert verlaufen.
Ich war eine gute Schülerin, habe Abitur gemacht, war ein Jahr in Amerika als
Au-Pair und habe dann begonnen, Jura zu studieren. Das Studium hat mir Spaß
gemacht, ich hatte
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