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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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machte
Anstalten, wieder in die Wohnung hinein zu gehen.
    »Stopp.
Bleiben Sie da, wo Sie sind. Sie setzen sich jetzt nicht, sondern machen diesen
Schritt über die Schwelle, und zwar sofort!«
    Ich ließ
meine Stimme absichtlich scharf und unerbittlich klingen, obwohl das mit
Halsschmerzen und verstopfter Nase gar nicht so einfach war.
    Alicia zuckte
zusammen, gehorchte jedoch und blieb stehen. Ich sah ihr wachsbleiches Gesicht
sowie die winzigen Schweißperlen auf ihrer Stirn und wusste, dass sie unter
echter Todesangst litt. Auch wenn keinerlei wirkliche Lebensgefahr für sie
bestand, waren die Symptome für sie völlig real. Ich ließ ihr keine Zeit zum
Nachdenken.
    »Heben Sie
Ihren rechten Fuß und treten Sie über die Schwelle. Hören Sie auf zu denken und
tun Sie einfach das, was ich sage.«
    Nach über
zwei Stunden hatte ich sie an diesem Mittwochnachmittag soweit gebracht, dass
sie mit ihrem rechten Bein tatsächlich zwei Sekunden lang außerhalb der Tür
gestanden hatte. Obwohl ich es mir ihr gegenüber nicht anmerken ließ, war ich
mindestens genauso erschöpft wie Alicia. Mich quälte meine Erkältung und es war
anstrengend, meiner geplagten Patientin gegenüber diese herrische,
unnachgiebige Art an den Tag zu legen. Aber mein Mitleid würde sie nicht voran
bringen.
    Während ich
meinen Porsche  an diesem Abend durch den dichten Berufsverkehr schniefend nach
Hause steuerte, freute ich mich über Alicias winzigen Fortschritt. Morgen
Nachmittag würde sie mindestens eine Minute lang mit dem rechten Bein draußen
stehen müssen.
    Aber wie ich
feststellte, machte es mir keinen Spaß, derart streng und unerbittlich
aufzutreten. Ich musste mich dazu zwingen und tat das einzig und allein aus Vernunftgründen.
    Zur Domina
würdest du dich nicht eignen!
    Bei der
Vorstellung, wie ich von Kopf bis Fuß in schwarzes Leder gekleidet mit einer
Peitsche in der Hand Paul züchtigte, musste ich laut auflachen. Der
weißhaarige, distinguiert wirkende Fahrer im Wagen neben mir sah mich an, als
hätte ich sie nicht mehr alle. Wenn der ahnte, was mir durch den Kopf ging,
würde er vermutlich eher animiert als pikiert aussehen. Aus beruflicher
Erfahrung wusste ich, dass Männer jeglichen Alters von wesentlich mehr
sexuellen Spielarten angetörnt wurden, als sich viele Frauen vorstellen
konnten.
    Ich war
schrecklich müde, hatte bohrende Kopfschmerzen und freute mich darauf, sofort
in mein weiches Bett zu kriechen und in den Tiefschlaf zu sinken.
    Pauls Wagen
stand vor unserem Haus. Ich seufzte auf, parkte in der Tiefgarage und war fest entschlossen,
ihm klar zu machen, dass er heute nicht bleiben konnte, da ich mich dringend
mit Schlaf auskurieren musste. Eigentlich hatte ich ihm dies bei unserem
gestrigen abendlichen Telefonat bereits erklärt.
     
    Als ich die
Tür aufschloss, drang mir als erstes der köstliche Duft von Hühnersuppe in die
Nase. Paul erschien in seiner obligatorischen Chefkoch-Schürze in meiner
Küchentür. Er gab mir einen raschen brüderlichen Kuss auf die Stirn, half mir
aus meiner lammfellgefütterten warmen Lederjacke und nahm mir fürsorglich die
Umhängetasche ab.
    »Du siehst
müde aus, Liebling. Es tut mir leid, dass ich dich am Wochenende angesteckt
habe. Ich dachte mir, zur Wiedergutmachung kümmere ich mich heute Abend ein
wenig um dich. Ich habe Hühnersuppe mit Gemüse gekocht. Du brauchst dich nur
ins Wohnzimmer zu setzen, ich bring dir einen Teller.«
    Ich konnte es
kaum fassen. Nachdem sich Paul in letzter Zeit sehr selbstherrlich aufgeführt hatte,
kam nun sein rücksichtsvoller Teil wieder zum Vorschein!
    Ich freute
mich über alle Maßen, vor allem, als ich auf dem Esstisch vor meinem Gedeck
einen wunderschönen Rosenstrauß entdeckte.
    »Zum Dank für
die aufopfernde Pflege«, lächelte er mich an, als er die Suppe vor mir
abstellte.
    Der Abend
verlief sehr harmonisch. Er umsorgte mich, schüttelte mein Bett auf und lüftete
das Schlafzimmer. Falls er auf handfestere Dankbarkeit meinerseits gehofft
haben sollte, so verbarg er dies gut, als ich ihm wenig später gähnend
erklärte, jetzt dringend schlafen zu müssen.
    »Schon gut,
Schatz. Ruh' dich aus. Ich werde jetzt in meine Wohnung fahren. Ich wünsche dir
eine rasche und gute Besserung.«
    Ich bedankte
mich nochmals bei ihm, erhielt einen zarten Kuss auf den Mund und dann fuhr er
nachhause.
    Die
Hühnersuppe und Pauls Fürsorge hatten mir gut getan. Ich schlief rasch ein und acht
Stunden durch. Als ich aufwachte, fühlte ich mich

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