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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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oben beförderte. Man sah das Ende des Lifts und die Piste fiel in
sanften Schwüngen gemächlich bis fast direkt zum Parkplatz hin ab. Hier könnte
ich erst mal ein bisschen üben.
    Neidisch
blickte ich einer Familie mit zwei kleinen Kindern nach, die vom Parkplatz
kommend, ihre Skier geschultert, genau dorthin stapften. Während wir an einem
Sessellift mit überbreiten Gondeln, in welchen acht Personen auf einmal
befördert wurden, anstanden, der ein paar hundert Meter weiter oben hinter
einer Kuppe im Nirgendwo verschwand. Mir schoss die Horrorvorstellung, wie ich
schon beim Ein- oder Ausstieg meinen Einsatz verpasste und auf den Hintern
knallte, durch den Kopf. Die menschliche Fantasie ist unerschöpflich, wenn es
darum geht, sich schlimme Dinge auszumalen. Erst jetzt konnte ich annähernd
nachfühlen, was die arme Alicia mit ihrer Todesangst jeden Tag mitgemacht
hatte.
    Lisa und Paul
unterhielten sich angeregt und diskutierten, welche Route wir nehmen sollten
und welche der Hütten den besten Kaiserschmarren anbot. Wie konnten die beiden
nur ans Essen denken? Mir war flau im Magen.
    Ich hatte
keine Ahnung, ob Lucas ein guter Skifahrer war. Aber abgesehen davon war er in
einem rot-schwarzen Skianzug mit roten Skistiefeln und schwarzen Skiern ein
echter Hingucker. Wie ich an den neugierig-anerkennenden Blicken der Skihaserln
um uns herum bemerkte, nicht nur für Lisa und mich. Mit seiner Größe überragte
er alle in der Schlange. Er war gut gelaunt, hatte uns schon bei der Herfahrt
ständig zum Lachen gebracht und eben blitzten mich seine Augen fröhlich an.
    »Schön, dass
ihr beide mitgekommen seid. Wir haben heute echtes Glück mit dem Wetter. In
München sah es noch nicht so berauschend aus.«
    Wir waren um
sieben in der Früh bei Nebel losgefahren. Je näher wir an die Berge kamen,
desto heller wurde es und nun glich das Wetter genau dem in meiner albernen
Kitschversion: Es war kalt, aber die Sonne strahlte vom wolkenlos blauen Himmel
und ließ den Schnee glitzern. Jetzt müsste nur noch ein Wunder geschehen und ich
die Hänge genauso wie in meinem Kopfkino mühelos herunter wedeln. Leider
glaubte ich nicht an Wunder. Wahrscheinlich waren die Hänge dort oben alle
verdammt steil, vielleicht vereist oder mit Buckeln übersät und ich würde im
Schneepflug-Style mit Entenpopo wie auf rohen Eiern versuchen, irgendwie
talabwärts zu gelangen.
    Ich schluckte
und sah ungewollt unglücklich drein, denn Lucas fragte sofort:
    »Was ist los,
Tessa? Fühlst du dich nicht wohl?«
    Leise, um
Paul und Lisa nicht darauf aufmerksam zu machen, dass sie eine absolute
Spaßbremse mitgenommen hatten, holte ich tief Luft und erwiderte aufrichtig:
    »Ich sag dir
eins. Ich fahre nicht gut Ski. Momentan verfluche ich mich dafür, nicht heute
Morgen meine Migräne genommen zu haben und daheim geblieben zu sein. Lisa und
Paul sind Pistensäue, die schreckt nichts. Und ich werde euch mit meinem
nichtvorhandenen Fahrkünsten und meiner verdammten Angst nur behindern und
aufhalten. Ich habe ja schon Schiss vor dem Ein- und Ausstieg in diesen
Sessellift. Am liebsten würde ich hier unten in einem Lokal sitzen bleiben und
auf euch warten, bis wir wieder heimfahren.«
    So, jetzt
hatte ich die Fronten geklärt. Ich musste ihm nichts mehr vormachen und
komischerweise fühlte ich mich sekundenlang erleichtert. Die Schlange vor den
Gondeln wurde immer kürzer, wir rutschten auf den Skiern ein paar Meter weiter
nach vorn. Schon verstärkte sich die Übelkeit in meinem Magen wieder. Lucas
hielt sich dicht neben mir, beugte sich zu mir herunter und erklärte leise:
    »Hab keine
Angst. Du schaffst das. Ich bleibe in deiner Nähe und wenn du dir irgendeine
Abfahrt nicht zutraust, dann fahren wir beide eben auf einer leichteren Piste. Ich
war schon mal hier. Da oben gibt es jede Menge sanft abfallender Hänge. Lisa
und Paul lassen wir rasen. Ich rase auch nicht gerne. Ich genieße meine
Abfahrten lieber.«
    Unendlich
dankbar blickte ich an. Er hielt Wort. Am Sessellift-Einstieg dirigierte er
mich völlig unauffällig und von den anderen unbemerkt so, dass ich mich richtig
hinstellte und mühelos im genau richtigen Moment in den Sitz der Gondel setzen
konnte, bevor wenige Sekunden später bereits unsere Füße mit den Skiern in der
Luft baumelten. Die Fahrt nach oben genoss ich sogar ein wenig, da uns die
warme Sonne ins Gesicht schien und wir einen grandiosen Ausblick über das
gesamte Skigebiet hatten.
    Lucas saß
neben mir und kurz vor der

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