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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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war. Lisas angekündigte Buckelpiste begann
direkt dahinter und meine Freundin hatte mir verschwiegen, dass es sich um eine
verdammt steile, vereiste Buckelpiste handelte. Die ersten hundert Meter
schaffte ich es noch, mich auf den Füßen zu halten, obwohl ich beinahe die Hand
vor Augen nicht mehr sah. Aber dann wurde ich immer schneller und verlor
vollkommen die Kontrolle über meinen Körper. Meine Skier verselbstständigten
sich praktisch.Verzweifelt versuchte ich, mich auf den Beinen zu halten. Aber
bei der nächsten Unebenheit riss es mir den rechten Ski nach außen weg. Mit
einem Klicken löste sich die Bindung, ich knallte hart mit der Hüfte und einem
verdrehtem Bein auf den eisigen Boden. Vor lauter Schreck blieb ich stumm. Mein
ganzer Körper fühlte sich seltsam taub an. Das Letzte, an was ich mich erinnern
konnte, bevor ich wieder zu mir kam, war, dass ich meinen Ski auf mein Gesicht
zukommen sah.
     
    Von weit her
hörte ich durch die mich umgebende Dunkelheit aufgeregte Stimmen.
    »Oh Gott,
dass sieht gefährlich aus. Atmet sie?«
    Irgendjemand
kniete sich neben mich hin, ich spürte die Körperwärme an meiner linken Hüfte.
    Eine fremde
Frauenstimme fragte:
    »Hallo,
können Sie mich hören? Wachen Sie doch auf!«
    Durch meine
geschlossenen Lider hindurch wurde es langsam heller. Und dann setzte unvermittelt
der Schmerz ein. Mein Bein! Es fühlte sich an, als ob mein rechtes Bein von der
Hüfte abwärts in einem offenen Feuer läge. Instinktiv wollte ich es bewegen,
aber da tat sich nichts! Nur der Schmerz verdreifachte sich. Entsetzt riss ich
meine Lider auf. Ich konnte rechts undeutliche Helligkeit erkennen, links
spürte ich etwas Warmes über mein Gesicht rinnen und sah nur rote Schlieren.
Außer der Frau, die neben mir kniete, stand eine Gruppe Skifahrer um mich herum.
Alle starrten auf mich herab. Ich kannte sie nicht. Wer waren die Leute? Wo war
ich? Und wo waren Paul, Lisa und Lucas? Die Sekunden vor meinem Sturz und die
entsetzliche Angst, die ich dabei verspürt hatte, fielen mir wieder ein. Unwillkürlich
stöhnte ich auf.
    »Gottseidank,
sie kommt zu sich! Irgendjemand soll die Bergwacht rufen! Die müssen sie
holen.«
    Irgendjemand
murmelte zustimmend: »Ich rufe an.«
    Plötzlich
vernahm ich ein Rauschen und das Geräusch, welches entsteht, wenn ein Skifahrer
aus voller Fahrt heraus abbremst. Es klickte zweimal kurz. Jemand schnallte
seine Skier ab. Und dann vernahm ich zu meiner grenzenlosen Erleichterung
Lucas´ Stimme, die merkwürdig angespannt klang. Erschöpft und froh darüber,
dass endlich einer meiner Freunde hier war, klappte ich meine Augenlider wieder
zu.
    »Lassen Sie
mich zu ihr durch.«
    Die Person direkt
neben mir erhob sich.
    »Kennen Sie
sie? Wir haben die Bergwacht bereits verständigt.«
    Und dann
spürte ich, wie eine warme Hand meine rechte Gesichtshälfte unendlich zärtlich
streichelte. Lucas kniete jetzt da, wo sich eben noch die Fremde befunden hatte.
Schmerzerfüllt verzog ich mein Gesicht.
    »Tessa,
kannst du mich hören? Wo hast du Schmerzen?«
    Er hätte mich
besser gefragt, welche Körperteile mir nicht wehtaten. Die Aufzählung wäre sehr
rasch beendet gewesen. Mir tat alles weh. Wieder entfuhr mir ein ungewolltes
Aufstöhnen.
    Ich blinzelte
und konnte, zumindest mit dem rechten Auge, dicht vor mir Lucas besorgtes
Gesicht erkennen. Gleich darauf hörte ich die ängstlich-hohe Stimme meiner
Freundin.
    »Lucas? Was
ist mit ihr?« 
    Sie klang,
als ob sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Völlig untypisch. Sie weinte eigentlich
nur bei Liebeskummer, sonst niemals.
    Mühsam
versuchte ich, zu sprechen.
    »Schon gut,
ich lebe noch. Mich hat´s hin gebrettert. Mein rechtes Bein tut höllisch weh.«
    Ich machte
Anstalten, mich aufzurichten. Der darauf einsetzende Schmerz war überwältigend.
Ich hätte nicht gedacht, dass er noch schlimmer werden könnte als vorher. Vor
meinen Augen flimmerte es. Kraftlos sank ich zurück und begann, am ganzen
Körper heftig zu zittern. Ich strich mir mit der Hand automatisch über das
linke Auge und die linke Wange und betrachtete dann entsetzt meinen
blutüberströmten Handschuh. Aber wenigstens konnte ich jetzt, da das Blut weg
war, wieder mit beiden Augen sehen. Der Himmel war immer noch wolkenverhangen,
aber die Nebelschwaden waren verschwunden. Ich spürte, wie von meiner Stirn
weiterhin warme rote Flüssigkeit über mein Gesicht rann. Genau diesem Moment
vernahm ich die angsterfüllte und gar nicht mehr höhnische

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