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So unerreichbar nah

So unerreichbar nah

Titel: So unerreichbar nah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marleen Reichenberg
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gesprungen und
hochgefahren, um mich zu suchen. Lisa hatte Paul in eine der nächsten Gondeln
geschleift und ihm die gesamte Fahrtdauer nach oben die Hölle heiß gemacht,
dass er mich - entgegen seines Versprechens, mich zu holen und nach unten zu
begleiten - allein gelassen hatte.
    Er hinterließ
mir dutzende von Nachrichten auf der Mailbox meines Handys sowie meines
Anrufbeantworters, die ich allesamt vollkommen ignorierte. In seiner
Verzweiflung hatte er sogar versucht, zuerst über Lisa, dann über Lucas bei mir
um gut Wetter zu bitten. Aber auch die beiden verhielten sich ihm gegenüber
sehr kühl, obwohl ich ihnen nichts Näheres über unseren Streit und seine
egoistische Verhaltensweise erzählte. Wie tief ihn das Ganze getroffen hatte,
konnte ich daran ermessen, dass er sich bei jedem Anruf zigmal für sein
Verhalten entschuldigte.
    Aber diesmal
blieb ich ungerührt. Ich wusste, dass mir irgendwann eine persönliche
Aussprache mit ihm bevorstand. In meinem angeschlagenen Zustand fühlte ich mich
einer erneuten Diskussion mit ihm nicht gewachsen. Er und seine Gewissensbisse
waren mir augenblicklich so egal wie ein in China umgefallener Sack Reis. Wenn
ich an ihn dachte, fühlte ich abwechselnd Zorn oder Gleichgültigkeit.
    Erschwerend
hinzu kam die Tatsache, dass ich seit diesem Unfalltag rettungslos in den
Freund meiner Freundin verliebt war. Und zwar mit allem, was dazu gehörte:
Sehnsucht nach seiner Nähe, Euphorie, die sich mit abgrundtiefer Traurigkeit
abwechselte und dem sicheren Gefühl, meinen Seelenpartner gefunden zu haben. Vorher
war es eine eher hormonelle Sache gewesen. Erotische Wunschträume. Ohne ihn
näher zu kennen, hatte er mich sexuell angezogen. Meine Träume von und mit ihm
hatten sich auf unanständige Handlungen beschränkt. Aber jetzt, da er auf der Skipiste
mein Ritter in der glänzenden Rüstung geworden war, mich gerettet, umsorgt und
beschützt hatte, wollte ich ihn - mit Haut und Haaren. Nicht nur im Bett,
sondern auch im Alltag. Ich wollte ihn heiraten, so richtig schön romantisch: In
einem weißen langen Kleid mit ihm vor dem Traualtar in einer Barockkirche
stehen, ihm ewige Liebe versprechen, ein Haus mit ihm zusammen bauen und eine
Familie gründen. Einen Sohn von ihm bekommen, der ihm glich und ein kleines
Mädchen, das mein Aussehen erbte. All diese altmodischen, wunderbaren Dinge,
die mir bisher nie wichtig genug gewesen waren, um meine Freiheit aufzugeben.
Für Lucas hätte ich, wenn er es von mir verlangen würde, sofort und ohne mit
der Wimper zu zucken, Hauswirtschafts-, Koch- und Backkurse belegt und meinen
Porsche verkauft.
     Er hatte
sich in Innsbruck rührend um mich gekümmert. Als ich nach der Operation mitten
in der Nacht aufwachte, hatte er an meinem Bett gesessen. Und er war erst am
darauffolgenden Nachmittag, als ich wieder einigermaßen fit war, mit dem Zug
völlig übernächtigt nach München zurück gefahren.
    Das alles
klang sehr nach einer wundervollen Liebesgeschichte. Aber die Sache hatte einen
gewaltigen Haken: Er und Lisa waren nach wie vor unzertrennlich. Lisa war an
jenem Sonntag, nachdem ich mit dem Hubschrauber abtransportiert worden war, mit
Paul im Auto nach München zurück gefahren. Sie wussten mich bei Lucas in den
besten Händen. Er hielt sie per Handy über meinen Zustand auf dem Laufenden und
hatte sie überredet, heimzufahren, anstatt ebenfalls in die Klinik zu kommen.
Letztendlich waren sie einverstanden gewesen, da Lisa am Montagmorgen eine
wichtige Präsentation hielt und Paul eine Besprechung hatte, bei der es um
seine künftige Partnerschaft ging.
     
    Als ich
entlassen wurde, hatte mich Lucas zusammen mit Lisa abgeholt, da ich mich
strikt geweigert hatte, mich von Paul besuchen und heimfahren zu lassen. Lieber
wäre ich mit Krücken von Innsbruck nach München gelaufen.
    Seit dieser
Heimfahrt war ich nie wieder mit Lucas allein gewesen. Lisa umsorgte mich
rührend, half mir morgens beim Duschen und Anziehen, chauffierte mich zur
Krankengymnastik, kaufte für mich ein und schickte mir ihre Putzfrau. Dazwischen
erledigte sie ihre Arbeit in der Agentur.
    Ihr Chef
hatte ihr ausdrücklich erklärt, sie solle erst dann täglich zur Arbeit
erscheinen, wenn ich versorgt sei. Abends kam sie oft mit Lucas vorbei und sie
brachten mir irgendwelche Pizzen, Asia-Snacks oder ganze Menus aus dem "Chez
amis" mit. Schade nur, dass ich fast keinen Hunger verspürte. Lucas´
Gegenwart sowie meine Gewissensbisse Lisa gegenüber schnürten mir

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