So unselig schön
blutgetränkten Laken befand. Während das übrige Zimmer in Dämmerlicht versank, war der Körper hell ausgeleuchtet, strahlte überirdisch in einem dramatischen Hell-dunkel-Kontrast.
Buthler war der Einzige, von dem sie wussten, dass er malen konnte. Wie sah es dagegen mit Fuhrmann und Wernegg aus?
Jobst Wernegg. Hatten sie sich intensiv genug mit ihm befasst? Wernegg hielt zu Fuhrmann und stützte weiter dessen Alibi, wodurch er selbst eines besaß. Andererseits hatte er Fuhrmann geraten, den Diebstahl des Jaguars anzuzeigen, als dieser das nicht wollte. Sie waren Freunde und nicht Feinde. Oder?
Wernegg war am Abend des Mordes an Jana nachgewiesenerweise nicht mit seinem Jaguar unterwegs gewesen. Dafür gab es Zeugen. Welches Motiv könnte er haben, Frauen zu töten? Er, der sein Vermögen dafür einsetzte, Familien, und somit auch Frauen, zu helfen. Und außerdem hatte er zum Zeitpunkt des Mordes an Svenja in Australien gelebt.
Plötzlich hatte Dühnfort das Gefühl, sich mit Wernegg zu wenig befasst zu haben. Doch das stimmte nicht, Alois hatte ihn unter die Lupe genommen. Buthler war der eigentliche weiße Fleck der Ermittlung.
Ab jetzt mussten sie in beide Richtungen laufen. Sie mussten versuchen die Beweislage gegen Fuhrmann zu erhärten, den oder die Tatorte finden und gleichzeitig herauskriegen, ob Fuhrmann nur als Sündenbock herhalten sollte und womöglich Buthler dahintersteckte. Dühnfort zog das Handy aus der Jackentasche und schickte Gina eine SMS .
Kaum hatte er das Handy weggesteckt, begann es in seiner Tasche zu vibrieren. Er holte es wieder hervor und erkannte im Display Agnes’ Nummer.
»Hallo, Tino. Ich habe in Baudelaires Biographie nachgelesen. Interessiert sie dich noch?«
Diesen seltsam spröden Klang ihrer Stimme hatte er vom ersten Moment an sinnlich gefunden. »So schnell.« Er dämpfte seine Stimme, um die Stille nicht zu stören, erhob sich und schritt durch das Kirchenschiff Richtung Ausgang.
»Ich bin gar nicht erst nach Hause gefahren, sondern habe mir das Buch besorgt und mich damit in ein Café gesetzt. Es ist ein dünner Band. Ich bin fast durch, und das, was dich interessieren dürfte, steht im ersten Teil.«
»Nämlich?«
Er hörte ein leises Lachen durchs Telefon. »Noch immer so ungeduldig?«
Er passierte das Eingangsportal und trat aus der Kühle des Doms in den lauen Sommerabend. »In meinem Alter ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich grundlegende Charaktereigenschaften ändern, eher gering. Ich begehe also noch immer dieselben Fehler.«
»Schade.« Es klang ein wenig enttäuscht, und doch schwang ein Lächeln mit, das er beinahe vor sich sehen konnte.
»Weshalb?«
»Ich hatte gehofft, mit meinem aufpolierten Wissen höchstpersönlich vor dir glänzen zu können. Wollen wir uns nicht auf ein Glas Wein treffen?«
Sie hatte ihm einen Gefallen getan. Da konnte er ihr diese Bitte schlecht abschlagen. »Gut. Wo bist du?«
»Im Café Glockenspiel. Auf der Dachterrasse.«
Drei Minuten zu Fuß. »Dann bis gleich.« Er legte auf und machte sich auf den Weg. Irritiert stellte er fest, dass er sich auf das Treffen mit Agnes freute. Und ärgerte sich zugleich darüber. Was wollte sie von ihm? Alles hat seine Zeit. Er war sich unsicher, ob jetzt der richtige Zeitpunkt war, sie wieder in sein Leben zu lassen.
Auf der Dachterrasse waren alle Tische belegt. Zwei Frauen blickten sich suchend nach einem freien Platz um. Weiter hinten an der Brüstung entdeckte Dühnfort Agnes, die gerade einem Mann im perfekt sitzenden Businessanzug erklärte, dass der Schein trog und der Platz an ihrem Tisch nicht frei sei. »So charmant wird man nicht alle Tage abgewiesen«, erwiderte er, wandte sich ab und ging an Dühnfort vorbei.
Agnes lächelte, als sie ihn entdeckte. »Grüß dich, Tino.«
»Hallo, Agnes.« Er setzte sich.
Der Kellner trat an den Tisch. Agnes bestellte für sich ein weiteres Mineralwasser und blickte Dühnfort dann fragend an. »Wie wäre es mit einem schönen kalten Soave?«
Das war der Wein des vergangenen Sommers gewesen. Ihres Sommers. »Warum nicht?« Der Band mit Baudelaires Biographie lag vor ihr auf dem Tisch. Er griff danach. »Eine unglückliche Kindheit, hast du gesagt. Wie unglücklich?«
Ihr Blick schien zu sagen: Keine Zeit für die Frage, wie es mir geht? Du bist also noch immer enttäuscht oder gar wütend auf mich. »Er wurde aus dem Paradies vertrieben. So hat er es empfunden«, sagte sie stattdessen und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, als
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