So unselig schön
führt.«
»Wer also lügt?«, fragte Dühnfort.
»Möglicherweise Fuhrmann.« Ginas Blick folgte ihm, während er Espressokaffee in den Siebeinsatz füllte. »Der hat versucht cool zu wirken, war aber nervös. Er ist Schönheitschirurg, verfügt also über die nötigen Fachkenntnisse, um Venen zu öffnen und Köpfe abzutrennen.«
Dühnfort schob die Brühgruppe in die Maschine und wärmte mit Dampf zwei Tassen an. »Was ist mit seinem Alibi?«
»Scheint wasserdicht. Wird gleich von zwei Leuten bestätigt. Er war auf einer Finissage, was wohl das Gegenteil von einer Vernissage ist, und ist um halb neun mit seinem Kumpel Jobst Wernegg von dort weg. Das bestätigen Wernegg und die Galeristin.«
»Was gefällt dir daran nicht?« Dühnfort ließ den Espresso in die vorgewärmten Tassen laufen.
»Beide fahren einen silbernen Jaguar XK . Wernegg und Fuhrmann. Damit haben also beide ein Alibi.«
»Das von der Galeristin bestätigt wird«, gab Alois zu bedenken.
»Was haben sie anschließend gemacht?« Dühnfort reichte Gina eine der Tassen.
»Sie haben sich getrennt. Fuhrmann ist nach Hause gefahren, war dort aber allein, da die Gattin in einem Wellnesshotel weilte. Wernegg ist zu Fuß in sein Büro in der Maximilianstraße und hat an einer Präsentation gearbeitet, weil er am Montag nach Amsterdam musste und das vorher vom Tisch haben wollte. Außerdem war er an dem Tag mit seinem Volvo unterwegs, der Jaguar stand in der Garage. Was zu stimmen scheint. Werneggs Volvo hat um 20 . 45 Uhr in der Maximilianstraße ein Knöllchen kassiert. Die Parkzeit war abgelaufen.«
»Dieser Wernegg, was macht er?«
»Er ist hauptberuflicher Wohltäter. Sorry, das klingt jetzt abfällig. Meine ich aber nicht so. Er hat einen Haufen Geld geerbt, und das hat er in eine Stiftung gesteckt, mit der er eine Reihe wohltätiger Projekte unterstützt. Zurzeit plant er ein Familienzentrum in Pasing.«
Dühnfort setzte sich wieder. »Zwei Freunde, die das gleiche Auto fahren …« Nachdenklich sah er an die Decke. »Und es gibt nur neunundzwanzig davon in München.« Er senkte den Blick auf den Tisch, griff nach dem Espresso und trank ihn mit einem Schluck. »Mit den beiden rede ich. Morgen.« Er wandte sich an Alois. »Gibt es etwas über Nico Hähnel, was wir wissen sollten?«
Alois zog bedauernd die Schultern hoch. »Hähnel ist ein unbeschriebenes Blatt, ein langweiliger Biedermann. Zahlt seine Steuern pünktlich und hat in seinem ganzen Leben zwei Knöllchen kassiert. Das einzig Auffällige ist eine Psychotherapie, die er vor zwei Jahren begonnen und dann abgebrochen hat. Das habe ich von Nadines Eltern erfahren.«
Dühnfort horchte auf. »Was war der Grund dafür?«
»Das wusste Nadines Mutter nicht. Soll ich dranbleiben?«
»Der Therapeut ist an seine Schweigepflicht gebunden. Hat Hähnel ein Alibi?«
»Wenn allein daheim eines ist, dann ja.«
Ein Mann vertraute seine Probleme nur selten einem Therapeuten an, selbst wenn der Leidensdruck enorm war. Die meisten machten weiter, bis sie zusammenbrachen oder durchdrehten. Bis sie implodierten oder Amok liefen. Spontan hätte Dühnfort Hähnel den Implodierenden zugeordnet. »Vielleicht ist es besser, wenn Gina das macht. Ich denke, eine Frau kann ihn eher aus der Reserve locken.«
Alois breitete die Hände aus. »Soll mir recht sein.«
Gina murmelte etwas, das wie Darin bin ich ja nicht so sonderlich erfolgreich klang, grinste und sagte: »Klar, mach ich.«
Kurz fragte Dühnfort sich, wie sie diese Bemerkung gemeint hatte. »Rede einfach mit ihm. Mir gegenüber hat er geäußert, dass er traurig war, als Nadine ihn verlassen hat. Das muss ja nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Vielleicht kriegst du mehr aus ihm heraus.«
Dühnforts Blick fiel auf die Kartons voller Akten. Die Nacht würde lang werden.
»Call a Pizza, Sushi-Express oder Thai-Takeaway?«, fragte Gina. »Ich kann auch meine Mutter anrufen und fragen, ob sie uns was bringt.«
***
Gerecht ging es in der Welt nicht zu. So viel war klar, und es wäre auch kindisch anzunehmen, es sollte so sein. Was war schon Gerechtigkeit? Epiktet könnte darüber vermutlich einen fetten Wälzer schreiben, wenn er in diesem Jahrtausend erwachen würde, dachte Vicki und musste grinsen. Zuerst bräuchte er allerdings passende Klamotten. Oder wäre ihm das so egal wie ihr?
Als kleines Kind hatte Vicki geglaubt, sie müsste nur brav sein, damit sich alles erfüllte, wonach sie sich sehnte: von ihrer Mutter geküsst oder
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