So unwiderstehlich reizvoll
wetteiferten Kunstgewerbegeschäfte, Galerien und Souvenirläden um die Gunst der Gäste.
„Hat auch dein Cousin hier sein Atelier?“, fragte Juliet und bereute ihre spontane Frage sofort.
„Das kann er sich nicht leisten, so viel zahlen die Leute eben nicht für die Machwerke eines unbegabten Dilettanten, der sich für einen großartigen Künstler hält. Raphaels Haus liegt in einer der zahlreichen Nebenstraßen.“ Nur mit Mühe beherrschte Juliet sich. „Kunst bedeutet dir offensichtlich nicht viel“, stellte sie so gefasst wie möglich fest.
„Kunst schon, Raphaels Stümpereien nicht.“ Er spürte genau, wie tief seine verletzenden Äußerungen Juliet getroffen hatte. „Komm, ich zeige dir sein Atelier. Dich wird er bestimmt nicht vor der Tür stehen lassen.“
„Bitte nicht!“ Um nichts in der Welt wollte sie Raphael sehen. Er würde ihr unterstellen, sie hätte das Treffen arrangiert, nur um ihn wiederzusehen.
Aber Cary setzte sich über ihren Wunsch hinweg, nahm ihren Arm und führte sie zielstrebig zu einer der steilen Gassen im Hafengebiet.
„Das ist wirklich kein guter Einfall“, protestierte Juliet. „Bestimmt ist seine Galerie geschlossen.“
„Das ist egal. Ich bringe Raphael schon dazu, uns reinzulassen. Seine Wohnung liegt direkt über dem Atelier, und da Samstag und damit unterrichtsfrei ist, muss er zu Hause sein.“
Die Tür war geschlossen und die Vorhänge an den Fenstern zugezogen. Schon wollte Juliet Cary erleichtert zum Weitergehen bewegen, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein schnittiges Coupé hielt. Eine junge Frau stieg aus und kam auf sie zu.
„Wollen Sie zu Raphael?“, erkundigte sie sich in einem Ton, als ginge sie bei ihm ein und aus. Ohne die Antwort abzuwarten, wandte sie sich plötzlich überrascht an Cary. „Sie müssen sein Cousin sein! Ich kann mich an Sie erinnern, als Sie noch auf Tregellin lebten.“
Ganz deutlich spürte Juliet, wie unangenehm Cary die Situation war. Weder wollte er mit seinem Cousin in Verbindung gebracht werden noch gefiel ihm der familiäre Ton der Fremden – ihr Dekolleté und der Minirock dagegen erregten offensichtlich seine Bewunderung.
„Ja, ich bin Cary Daniels“, stellte er sich schließlich vor. „Und mit wem habe ich die Ehre?“ Dünkelhaft zog er seine Brauen hoch.
„Olivia Holderness. Sie kennen mich als Liv Melrose. Vor etlichen Jahren waren Sie ein gern gesehener Gast bei uns an der Bar – meinem Vater gehört das Hotel hier.“
„Sie sind Lady Holderness ?“ Cary wirkte wirklich überrascht.
„Ich bin dieselbe wie eh und je.“ Lässig zuckte sie die Schultern. „Bobby und ich sind heute Abend bei Ihrer Großmutter zum Essen eingeladen. Hat Sie Ihnen das nicht gesagt?“
„Mag sein.“ Juliets vermeintlicher Verlobter schien nicht so recht zu wissen, wie er sich verhalten sollte.
„Und wer ist das? Noch eine Verwandte?“ Olivia musterte Juliet von Kopf bis Fuß.
„Das … Das ist Juliet Lawrence … Meine Verlobte.“
Damit machte er Olivia eine Weile sprachlos, dann jedoch fasste sie sich wieder. „Ihre Verlobte? Ich wette, Lady Elinor ist begeistert von ihr.“ Sie lächelte ironisch.
Allmählich hielt Juliet es für an der Zeit, in das Geschehen einzugreifen. „Allerdings“, erwiderte sie deshalb so freundlich, als hätte sie den Seitenhieb nicht verstanden. „Komm, Cary, lass uns gehen.“
„Haben Sie Raphael denn schon gesprochen?“
„Nein“, gestand Cary und blickte Hilfe suchend zu Juliet.
Olivia klingelte an einer versteckten Nebentür, die Juliet gar nicht mit dem Atelier in Verbindung gebracht hatte. „Er ist garantiert zu Hause, wir sind nämlich verabredet.“ Sie lächelte bedeutungsvoll.
Am liebsten wäre Juliet im Erdboden versunken. Raphael hatte offensichtlich ein Rendezvous mit dieser Frau, und wer stand vor der Tür? Cary und sie. Da musste er doch denken, sie spionierten hinter ihm her.
Sie überlegte noch fieberhaft, wie sie die peinliche Situation auf elegante Art beenden konnte, als Raphael die Tür öffnete. Offenbar war er gerade vom Joggen zurückgekehrt, er trug eine kurze Laufhose und Turnschuhe, und sein ärmelloses Shirt war durchgeschwitzt.
Olivia rümpfte die Nase. „Darling! Wie siehst du denn aus!“
Und tatsächlich fand Raphael den Besuch gar nicht amüsant. Er hatte gehofft, Juliet würde ihm in Zukunft aus dem Weg gehen. Stattdessen stand sie auf der Schwelle seiner Wohnung, noch dazu mit Cary. „Du bist früh“, antwortete
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