So unwiderstehlich reizvoll
nichts zu rechtfertigen.
Er stellte das Bild wieder an seinen alten Platz und ersetzte es durch ein lebensgroßes Porträt von Lady Elinor. Es war nicht mehr als eine grobe Skizze, aber gerade das betonte die typischen Charakterzüge der alten Dame besonders.
„Bewundernswert!“ Juliet fehlten die Worte. „Lady Elinor war also auch schon hier, um Modell zu sitzen?“
„Nein.“ Seine Großmutter lehnte es strikt ab, sich von ihm porträtieren zu lassen – denn damit hätte sie seinen Lebensweg gebilligt. „Ich habe es nach meiner Erinnerung gezeichnet.“
„Das ist Ihnen ausgezeichnet gelungen.“
„Ihre Wertschätzung ehrt mich.“
Juliet lächelte. Das machte sie noch schöner, aber für ihn auch gefährlicher, denn sie war sich ihrer sinnlichen Ausstrahlung nicht im Geringsten bewusst.
„Wenn ich ein Bild mag, muss ich noch lange nicht den Künstler mögen.“
„Das macht mich untröstlich.“ Plötzlich fiel ihm etwas ein. „Was hat Ihr Vater eigentlich von Ihrem Ehemann gehalten?“
Diese Frage irritierte Juliet. „Von David? Mein Vater starb, als ich gerade die Schule beendet hatte. Er hat David nie gekannt.“
„Das tut mir leid.“
„Mir auch“, entgegnete sie ruhig. „Hätte er länger gelebt, wäre mir bestimmt mancher Fehler erspart geblieben.“
Raphael zögerte. „Ihre Ehe war also ein Fehler?“
Obwohl es sich um eine äußerst persönliche Frage handelte, meinte Juliet sie unter den gegebenen Umständen beantworten zu dürfen. „Das kann man wohl behaupten“, gab sie zu. „Niemals hätte mein Vater David mein gesamtes Vermögen anvertraut.“
„Wie Sie das getan haben?“
„Ja.“ Sie errötete. „Ich weiß, das war unverantwortlich von mir. Aber Sie können mich deshalb nicht mehr verachten, als ich es selbst tue.“
„Weshalb sollte ich Sie denn verachten? Der Kerl scheint ein ausgemachter Windhund gewesen zu sein – und bestimmt sehr charmant. Haben Sie ihn darum geheiratet?“
„Ich weiß selbst nicht, warum ich ihn eigentlich geheiratet habe.“ Sie sah zu Boden. „Dad war vor Kurzem gestorben, und ich war allein – Geschwister habe ich nicht.“ Abrupt brach sie ab. „Ich langweile Sie. Ich habe folgenschwere Fehler begangen, aber ich werde darüber hinwegkommen.“
„Und ausgerechnet Cary soll Ihnen dabei helfen?“
Wohin hatte sich das Gespräch nur verirrt? Entsetzt schloss Juliet die Augen. Raphael zu belügen, war ihr nicht möglich gewesen. Zum Glück hatte sie ihm immerhin keine allzu großen Geheimnisse verraten.
„Ich vertraue Cary“, erwiderte sie betont heiter. „Da ich kein Geld mehr habe, kann er mich jedenfalls nicht aus finanziellen Gründen heiraten.“
„Und aus welchem Grund heiratet er Sie dann?“
Bei dieser unverblümten Frage stockte Juliet der Atem.
„Weil er mich liebt, nehme ich an“, antwortete sie schließlich gefasst, wenn auch nicht gerade überzeugend. „Am besten, Sie fragen ihn selbst.“
„Das ist überflüssig, ich kenne ihn schließlich lange genug. O Juliet, wann werden Sie endlich klug?“
Damit verschwand der freundschaftliche Ton, in dem sie sich für kurze Zeit unterhalten hatten, binnen einer Sekunde wieder. Juliet fühlte sich tief verletzt und ungerecht beurteilt und versuchte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.
„Klug? Finden Sie es denn klug, sich mit Ihrem Modell einzulassen?“
„Wollen Sie mir etwa unterstellen, mit Olivia ins Bett zu gehen?“
„Ach, tun Sie das nicht?“ Sie lächelte spöttisch. „Auf alle Fälle hätte Lady Holderness es gern, sie verschlingt Sie ja regelrecht mit den Augen!“
Schon lag ihm eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, als ihm die Komik der Situation bewusst wurde. Er lächelte.
„Ich frage mich, weshalb Ihnen das aufgefallen ist“, meinte er gefährlich leise. „Ist Ihnen ein Mann nicht genug? Befriedigt Cary Sie nicht?“
„Was für eine unverschämte Frage! Ich gehe wieder nach oben. Ich habe gesehen, was ich sehen wollte.“
„Das ist immerhin etwas.“ Ruhig stellte Raphael Lady Elinors Porträt zurück.
„Eins möchte ich jedoch noch bemerken.“ Juliets Stimme bebte hörbar. „Sie kritisieren Cary, sind aber selbst nicht besser. Auch Sie bilden sich ein, alles über Frauen zu wissen, was es nur zu wissen gibt.“
Verzweifelt schüttelte er den Kopf. „Die Unterschiede zwischen Cary und mir können Sie überhaupt nicht beurteilen, Juliet. Sie haben von Männern keine Ahnung. Trotz Ihrer Erfahrungen mit Ehe und Scheidung sind Sie
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