So wahr uns Gott helfe
erzählt, dass sie häufig zum Vorsprechen für Kostümfilme eingeladen wurde, für die ein vornehmer englischer Akzent gefragt war, den sie aber noch nicht richtig beherrschte. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie hauptsächlich mit Pokern und Auswahlverfahren für Geschworene, bei denen sie mir und einigen befreundeten Anwälten, denen ich sie empfohlen hatte, assistierte.
»Was ist mit dem Geschworenen sieben?«, wollte ich wissen. »Beim voir dire hat er mich ständig angeschaut. Inzwischen würdigt er mich keines Blickes mehr.«
Julie nickte.
»Ist es dir also auch schon aufgefallen. Mit einem Mal ist Schluss mit Blickkontakt. Als ob sich zwischen Freitag und heute etwas geändert hätte. Leider wohl ein eindeutiges Zeichen, dass er zum Lager der Anklage gehört. Während du dich auf Nummer drei konzentrierst, wird Mr. Unbesiegbar garantiert auf Nummer sieben bauen.«
»Das hat man davon, wenn man mal auf seine Mandanten hört«, brummte ich.
Wir bestellten das Essen und baten den Kellner, es möglichst schnell zu bringen, damit wir es rechtzeitig zurück ins Gericht schafften. Während wir warteten, erkundigte ich mich bei Cisco nach unseren Zeugen, und er versicherte mir, da seien wir gut aufgestellt. Dann bat ich ihn, nach der Verhandlung im Gericht zu bleiben und den drei Deutschen in ihr Hotel zu folgen. Ich wollte wissen, wo sie wohnten. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Sie würden mich im Lauf des Prozesses nicht gerade liebgewinnen. Es konnte nie schaden, zu wissen, wo meine Feinde Quartier bezogen hatten.
Während ich mich über meinen Salat mit gegrillter Hähnchenbrust hermachte, blickte ich durch das Fenster in den Wartesaal. Es war ein spektakulärer Mix aus architektonischen Stilen, aber das Hauptgewicht lag auf Art déco. Es gab endlose Reihen großer Ledersessel für die wartenden Reisenden, und von der Decke hingen riesige Kronleuchter. Ich sah Leute, die in den Sesseln schliefen, anderen hockten, von ihrem Gepäck umgeben, einfach nur da.
Und dann entdeckte ich Bosch. Er saß drei Reihen von meinem Fenster entfernt. Er war allein und trug seine Kopfhörer im Ohr. Unsere Blicke trafen sich kurz, dann sah er weg. Ich legte meine Gabel beiseite und tastete nach meinem Geld. Ich hatte keine Ahnung, wie viel ein Glas Chardonnay kostete, immerhin war Lorna schon beim zweiten angelangt. Ich legte fünf Zwanziger auf den Tisch und sagte den anderen, sie sollten in Ruhe zu Ende zu essen, ich müsse mal kurz telefonieren.
Dann verließ ich das Restaurant und rief Bosch auf dem Handy an. Er zog die Ohrstöpsel heraus und ging dran. Inzwischen näherte ich mich seiner Sitzreihe.
»Was gibt’s?«, begrüßte er mich.
»Wieder Frank Morgan?«
»Nein, Ron Carter. Warum rufen Sie an?«
»Wie fanden Sie den Artikel?«
Ich setzte mich in den freien Sessel ihm gegenüber und sah ihn kurz an, sprach dabei aber weiter in das Handy.
»Das ist doch bescheuert«, sagte Bosch.
»Vielleicht wollen Sie ja unerkannt bleiben oder …«
»Legen Sie einfach auf.«
Wir klappten unsere Handys zu und blickten uns an.
»Und?«, fragte ich. »Sind wir im Spiel?«
»Das wissen wir erst, wenn es so weit ist.«
»Was soll das bitte heißen?«
»Der Artikel ist erschienen. Ich glaube, er bewirkt, was wir wollten. Jetzt warten wir einfach ab. Wenn sich etwas tut, dann sind wir im Spiel, ja. Aber dass wir im Spiel sind, wissen wir erst, wenn wir im Spiel sind.«
Ich nickte, obwohl seine Bemerkung keinen rechten Sinn für mich ergab.
»Wer ist die Frau mit den schwarzen Haaren?«, erkundigte er sich. »Sie haben mir nichts von einer Freundin erzählt. Wahrscheinlich sollten wir sie auch bewachen.«
»Sie hilft mir bei der Auswahl der Geschworenen.«
»Ach, sie hilft Ihnen also, die Polizistenhasser und Anti-Establishment-Typen rauszufinden?«
»So in etwa. Sind nur Sie hier? Beschatten Sie mich ganz allein?«
»Wissen Sie, ich hatte mal eine Freundin. Die stellte auch immer Fragen im Paket. Nie eine allein.«
»Haben Sie ihr mal eine beantwortet? Oder haben Sie ihre Fragen auch immer so geschickt abgewimmelt wie gerade meine?«
»Ich bin nicht allein, Herr Anwalt. Keine Sorge. Sie sind von Leuten umgeben, die Sie nie zu sehen bekommen. Ich habe Leute auf Ihre Kanzlei angesetzt, ob Sie nun dort sind oder nicht.«
Und Kameras. Sie waren zehn Tage zuvor installiert worden, als wir jeden Tag mit dem Erscheinen des Times- Artikels gerechnet hatten.
»Okay, gut, aber dort werden wir nicht mehr lange
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