So wahr uns Gott helfe
die Namen nennen. Dafür könnte man Ihnen die Zulassung entziehen.«
»Das habe ich sehr wohl bedacht, aber auch dafür gibt es eine Lösung. Eine der Voraussetzungen, um von der anwaltlichen Schweigepflicht entbunden zu werden, ist eine akute Gefährdung der eigenen Sicherheit. Hätte Jerry Vincent gewusst, dass ihn einer seiner Mandanten umbringen wollte, hätte er die Polizei anrufen und ihr den Namen nennen dürfen. In diesem Fall wäre es keine Verletzung seiner Schweigepflicht gewesen.«
»Aber was Sie jetzt in Erwägung ziehen, ist etwas völlig anderes.«
»Sicher, der Fall ist etwas anderes gelagert, aber es gibt durchaus Parallelen. Der zuständige Ermittler hat mir ausdrücklich zu verstehen gegeben, die Wahrscheinlichkeit, dass die Identität von Jerry Vincents Mörder in Jerrys Akten zu finden ist, sei sehr hoch. Diese Akten befinden sich jetzt in meinem Besitz. Daher stellt dieses potenzielle Wissen eine akute Bedrohung für mich dar. Wenn ich jetzt losziehe und diese Mandanten aufsuche, könnte ich jederzeit, ohne es zu wissen, dem Mörder Jerry Vincents die Hand schütteln. Also kann man es durchaus so betrachten, dass mein Leben in Gefahr ist, und das würde eine Entbindung vom Anwaltsgeheimnis rechtfertigen.«
Sie nickte erneut und setzte ihre Brille auf. Dann griff sie nach einem Glas Wasser, das hinter ihrem Computermonitor verborgen gewesen war.
Nachdem sie einen tiefen Schluck genommen hatte, begann sie zu sprechen.
»Also schön, Mr. Haller. In meinen Augen handeln Sie angemessen und annehmbar, wenn Sie die Akten, wie vorgeschlagen, prüfen. Ich möchte, dass Sie bei diesem Gericht einen Antrag stellen, in dem Sie sowohl Ihre Maßnahmen erläutern als auch die Bedrohung, unter der Sie zu stehen glauben. Ich werde ihn unterzeichnen und mit meinem Stempel versehen, und mit ein bisschen Glück wird das Ganze niemals ans Licht kommen.«
»Danke, Euer Ehren.«
»Sonst noch etwas?«
»Nein, das war’s.«
»Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag.«
»Gleichfalls, Euer Ehren.«
Ich stand auf und wandte mich zum Gehen, doch dann fiel mir noch etwas ein. Ich kehrte um und blieb vor dem Schreibtisch der Richterin stehen.
»Euer Ehren? Etwas habe ich vergessen. Ich habe vorhin Ihren Kalender für letzte Woche gesehen und festgestellt, dass Jerry Vincent in der Sache Elliot einen Termin hatte. Ich bin noch nicht dazu gekommen, die Akte gründlich zu studieren. Dürfte ich fragen, worum es bei dieser Anhörung ging?«
Die Richterin musste kurz nachdenken.
»Es war ein Eilantrag. Mr. Vincent war erschienen, weil Richter Stanton den Kautionsantrag abgelehnt und angeordnet hatte, Mr. Elliot nicht aus der Haft zu entlassen. Ich habe den Widerruf aufgehoben.«
»Warum kam es zu dem Widerruf?«
»Mr. Elliot war ohne Genehmigung zu einem Filmfestival nach New York gereist. Ein klarer Verstoß gegen die Kautionsauflagen. Als Mr. Golantz, der Ankläger, in der Zeitschrift People ein Foto von Elliot auf dem Festival entdeckte, beantragte er bei Richter Stanton einen Widerruf der Kautionsbewilligung. Offensichtlich war er von Anfang an nicht glücklich über die Entscheidung gewesen, Elliot auf Kaution freizulassen. Und als Richter Stanton diese wegen Elliots Verstoß widerrief, kam Mr. Vincent zu mir und stellte einen Eilantrag gegen die Festnahme und Inhaftierung seines Mandanten. Ich entschied, Mr. Elliot noch eine Chance zu geben, schränkte seine Freiheit allerdings insofern ein, als ich das Tragen einer elektronischen Fußfessel anordnete. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass Mr. Elliot keine dritte Chance erhält. Behalten Sie das immer im Auge, falls Sie ihn als Mandanten übernehmen sollten.«
»Verstehe, Euer Ehren. Danke.«
Ich nickte und verließ das Zimmer. Als ich auf dem Weg nach draußen an Mrs. Gills Platz vorbeikam, bedankte ich mich auch bei ihr.
Harry Boschs Visitenkarte steckte noch in meiner Hosentasche, und ich kramte sie heraus, als ich im Lift nach unten fuhr. Auf dem Weg zu meinem Lincoln, den ich auf einem Parkplatz nicht weit vom Kyoto Grand Hotel abgestellt hatte, käme ich ohnehin am Parker Center vorbei. Beim Verlassen des Gerichtsgebäudes wählte ich Boschs Handynummer.
»Hier Bosch.«
»Mickey Haller.«
Ich bemerkte ein Zögern am anderen Ende und dachte schon, er könnte sich nicht mehr an meinen Namen erinnern.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte er schließlich.
»Wie kommen Sie mit den Ermittlungen voran?«
»Geht so. Aber es gibt
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