So wahr uns Gott helfe
der Akte stellte, war, warum Vincent den Fall überhaupt übernommen hatte. Er passte nicht zu seinen anderen Strafsachen, alles Fälle mit zahlenden oder zumindest interessanten Mandanten. Auch eine besondere Herausforderung schien mir der Fall nicht darzustellen. Er war eine reine Routineangelegenheit, und auch Wyms’ Vergehen war nicht weiter ungewöhnlich. Hatte sich Jerry einfach nur wieder mal pro bono engagieren wollen? Doch in diesem Fall hätte Vincent einen wesentlich interessanteren Fall finden können, der sich zum Beispiel in Form von Publicity ausgezahlt hätte. Anfänglich hatte der Fall Wyms wegen des Riesenspektakels im Park zwar für einiges Aufsehen in den Medien gesorgt, aber sobald es zum Prozess oder zu einem Deal käme, würde das Interesse der Medien rasch erlahmen.
Mein nächster Gedanke war, dass es möglicherweise einen Zusammenhang mit dem Fall Elliot gab. Vielleicht hatte Vincent irgendeine Verbindung entdeckt.
Allerdings konnte ich beim ersten Lesen nicht festmachen, worin diese hätte bestehen können. Zwei oberflächliche Berührungspunkte zwischen den Fällen gab es insofern, als sich die Wyms-Geschichte keine zwölf Stunden vor den Morden im Strandhaus zugetragen hatte und beide Straftaten in den Zuständigkeitsbereich des Sheriff’s Department von Malibu fielen. Doch diese Übereinstimmungen allein gaben nicht genügend her, um der Sache weiter nachzugehen. Auch in örtlicher Hinsicht bestand nicht der geringste Zusammenhang. Der Doppelmord hatte sich direkt am Meer ereignet, Wyms’ Ballerorgie tief im Landesinneren, in einem Park auf der anderen Seite der Berge. Und soweit ich mich erinnern konnte, war keiner der Namen in der Wyms-Akte in dem Elliot-Material aufgetaucht, das ich durchgesehen hatte. Der Wyms-Vorfall hatte sich während der Nachtschicht ereignet, die Elliot-Morde während der Frühschicht.
Es war also nirgendwo ein konkreter Zusammenhang zu erkennen, und frustriert klappte ich den Ordner zu. Ich blickte auf die Uhr und stellte fest, dass ich mich schleunigst auf den Weg ins CCB machen musste, wenn ich vor der Verhandlung um zwei noch mit meinem Mandanten sprechen wollte.
Ich rief Patrick an, er solle mich abholen, zahlte und verließ das Lokal. Während ich draußen wartete, wählte ich Lornas Nummer. Der Lincoln hielt am Straßenrand, und ich sprang auf den Rücksitz.
»Hat sich Cisco schon mit Carlin getroffen?«, fragte ich Lorna.
»Nein, erst um zwei.«
»Sag Cisco, er soll ihn auch wegen des Falls Wyms fragen.«
»Okay, um was geht’s dabei?«
»Er soll herausfinden, warum ihn Vincent überhaupt übernommen hat.«
»Glaubst du, sie hängen irgendwie zusammen? Elliot und Wyms?«
»Ich vermute es, hab aber noch keinen konkreten Anhaltspunkt dafür.«
»Okay, ich werde es ihm sagen.«
»Sonst irgendwas Neues?«
»Im Augenblick nicht. Nur von den Medien bekommen wir eine Menge Anrufe. Wer ist Jack McEvoy?«
Der Name kam mir irgendwie bekannt vor, ohne dass ich ihn genau zuordnen konnte.
»Keine Ahnung. Warum?«
»Arbeitet für die Times. Hat furchtbar beleidigt getan, weil er nichts von dir gehört hätte. Er bildet sich ein, so was wie einen Exklusivvertrag mit dir zu haben.«
Jetzt fiel es mir wieder ein. Der Deal mit dem Pressemann.
»Mach dir seinetwegen keinen Kopf. Ich habe von ihm auch nichts gehört. Was sonst noch?«
»Court TV möchte sich mit dir zusammensetzen und über Elliot sprechen. Sie werden während der gesamten Dauer des Prozesses live berichten. Soll eine große Sache werden, und deshalb hoffen sie, dich am Ende jedes Verhandlungstags für einen Kommentar gewinnen zu können.«
»Was hältst du davon, Lorna?«
»Ich halte es für eine hervorragende Reklame in eigener Sache, noch dazu kostenlos und landesweit ausgestrahlt. So eine Gelegenheit solltest du dir auf keinen Fall entgehen lassen. Sie haben gesagt, die Prozessberichterstattung soll am unteren Bildschirmrand sogar ein eigenes Logo erhalten. Sie wollen es Mord in Malibu nennen.«
»Dann vereinbare einen Termin mit ihnen. Sonst noch was?«
»Na ja, weil wir gerade bei dem Thema sind, letzte Woche habe ich ein Schreiben erhalten, dass dein Vertrag für die Bushaltestellenwerbung am Monatsende ausläuft. An sich wollte ich ihn nicht verlängern, weil kein Geld in der Kasse war, aber jetzt bist du wieder im Geschäft und hast Geld. Sollen wir verlängern?«
In den vergangenen sechs Jahren hatte ich an strategisch günstig gelegenen Bushaltestellen in Gegenden mit
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