So wahr uns Gott helfe
waren die Opfer die Witwen im Irak gefallener Soldaten. Ich schüttelte den Kopf und musste fast grinsen. Ich war froh, dass Scales mich nicht angerufen hatte. Der Pflichtverteidiger konnte ihn gern haben.
Als der Ankläger endete, traf Richterin Champagne eine rasche Entscheidung. Sie bezeichnete Scales als eiskalten Verbrecher und Bedrohung für die Gesellschaft und beließ die Kaution in Höhe von einer Million Dollar. Sie erklärte, sie hätte sie wahrscheinlich sogar noch höher angesetzt, wenn ein entsprechender Antrag gestellt worden wäre. In diesem Moment fiel mir ein, dass es Richterin Champagne gewesen war, die bei Scales’ erstem Betrugsfall das Strafmaß festgesetzt hatte. Für einen Angeklagten gab es nichts Schlimmeres, als wegen einer neuerlichen Straftat wieder vor denselben Richter zu kommen. Es war fast so, als nähmen die Richter das Versagen des Strafrechtssystems persönlich.
Ich rutschte auf meinem Stuhl tief nach unten und ging hinter einem anderen Zuschauer in Deckung, damit Scales mich nicht sehen konnte, als ihm ein Deputy Handschellen anlegte und ihn in die Zelle zurückführte. Sobald er den Saal verlassen hatte, richtete ich mich wieder auf, und es gelang mir, Romeros Blick auf mich zu lenken. Ich bedeutete ihm, dass ich draußen auf dem Flur auf ihn warten würde, und er hob fünf Finger. Fünf Minuten. Er hatte im Gerichtssaal noch etwas zu erledigen.
Ich verließ den Saal, und schaltete mein Handy wieder ein. Keine Nachrichten. Als ich daraufhin Lorna anrief, um mich bei ihr zurückzumelden, hörte ich Romeros Stimme hinter mir. Er war vier Minuten zu früh.
»Ene, mene, miste, schick den Killer in die Kiste. Und ist sein Anwalt Haller, streich ihn von der Liste. Hey, Mann.«
Er grinste. Ich klappte das Handy zu, und wir stießen mit den Fäusten aneinander. Ich hatte diesen Abzählreim nicht mehr gehört, seit ich beim Public Defenders Office aufgehört hatte. Romero hatte ihn aufgebracht, nachdem ich 1992 im Fall Barnett Woodson einen Freispruch herausgeholt hatte.
»Was liegt an, Mann?«, fragte Romero.
»Ich werde dir sagen, was anliegt. Du schnappst mir meine Mandanten weg, Mann. Sam Scales hat mal mir gehört.«
Ich sagte es mit einem wissenden Lächeln, und Romero grinste.
»Du willst den Kerl haben? Jederzeit. Das ist vielleicht ein mieser weißer Sack. Wenn die Medien Wind von der Sache kriegen, lynchen sie ihn für diese Nummer.«
»Kriegswitwen ausnehmen, hm?«
»Ihre staatlichen Hilfen einsacken. Ich kann dir sagen, ich habe schon einige miese Typen vertreten, die echt üble Nummern abgezogen haben. Aber Scales steht für mich auf einer Stufe mit den Kinderschändern, Mann. Ich kann den Kerl nicht ab.«
»Wie kommst du überhaupt zu einem Weißen? Du übernimmst doch sonst nur Bandenkriminalität.«
Romeros Miene wurde ernst, und er schüttelte den Kopf.
»Das war mal, Mann. Sie fanden, ich brächte zu viel Verständnis für die Jungs auf. Du weißt schon, einmal ein vato, immer ein vato. Deshalb haben sie mich von der Bandenkriminalität abgezogen. Nach neunzehn Jahren mache ich keine Banden mehr.«
»Das hast du wirklich nicht verdient, Mann.«
Romero war in Boyle Heights aufgewachsen. In diesem Viertel hatte eine Gang das Sagen gehabt, die sich Quatro Flats nannte und deren Tattoos noch auf seinen Armen prangten. Falls man sie mal zu sehen bekam. Denn egal, wie heiß es war, er trug bei der Arbeit immer langärmelige Hemden. Und wenn er ein Bandenmitglied vertrat, das einer Straftat beschuldigt wurde, tat er mehr, als ihn vor Gericht zu verteidigen. Er versuchte auch, den Mann aus den Fängen des Bandenlebens zu befreien. Jemanden wie ihn von der Bandenkriminalität abzuziehen war ein Schwachsinn, der nur einem bürokratischen Wasserkopf wie unserem Rechtssystem entspringen konnte.
»Was steht an, Mick? Du bist doch nicht hergekommen, um mir Scales auszuspannen.«
»Nein, Scales wirst du leider behalten müssen, Angel. Ich wollte mich nach einem anderen Mandanten erkundigen, den du dieses Jahr hattest. Eli Wyms.«
Um Romeros Gedächtnis auf die Sprünge helfen, wollte ich ihm ein paar Einzelheiten des Falls nennen, aber er konnte sich sofort daran erinnern und nickte.
»Ja, den hat mir Vincent abgenommen. Hast du den Kerl jetzt übernommen, wo Vincent tot ist?«
»Ja, ich habe alle Fälle Vincents geerbt. Von Wyms habe ich allerdings erst heute durch Zufall erfahren.«
»Na, dann viel Glück. Aber was willst du groß über Wyms wissen? Es ist
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