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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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weinerlich.
    »Komm her, Spätzchen.«
    Paulinho trat an das Bett der Mutter heran. Sie umarmte ihn. »Das war nur ein Traum. Ich würde niemals zulassen, dass Nebel und Geister in deinem Zimmer sind.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »So, und jetzt ab, Marsch ins Bett.«
    Paulinho blieb unentschlossen vor ihr stehen. »Ich habe Angst. Ich will bei dir im Bett schlafen.«
    Jujú kroch unter ihrer Decke hervor. »Wir gehen jetzt gemeinsam nachsehen, was da Schlimmes lauert. Wenn da wirklich etwas ist, vertreibe ich es.«
    Gemeinsam inspizierten sie den Raum, in dem selbstverständlich alles völlig normal und friedlich war. Doch als Jujú ihren Sohn aufforderte, nun endlich unter die Decke zu schlüpfen, weigerte er sich.
    »Wenn ich nicht bei dir im Bett schlafen kann, dann …«
    Dann was? Jujú blieb fast das Herz stehen. Sie wagte nicht, nachzufragen, vor lauter Angst, das Ende des Satzes könne lauten: »dann zeige ich allen das Foto«. Sie starrte Paulinho entgeistert an. War da wirklich ein boshafter Glanz in seinen Augen, oder projizierte den nur ihr eigenes schlechtes Gewissen dort hinein? Ach, Unsinn! Wahrscheinlich hatte ihr Sohn lediglich ausdrücken wollen, dass er dann die ganze Nacht durch die Wohnung taperte, sich zu Tode ängstigte und seinen Schlaf morgen in der Schule nachholen musste. Jujú schämte sich für die Gemeinheiten, die sie ihrem süßen Paulinho unterstellte. Wieder umarmte sie ihn.
    »Na schön, mein kleiner Liebling, aber nur heute Nacht. Morgen schläfst du wieder in deinem eigenen Bett. Versprochen?«
    »Ehrenwort.«
    Doch Paulinho brach sein Versprechen. Die nächste wie auch viele darauf folgende Nächte verbrachte er im Bett der Mutter, die sich allmählich damit abzufinden schien. Sie sah dem Kind gern beim Schlafen zu, liebte den Anblick des kleinen Menschenwesens, wie es zusammengerollt und die Arme um ein Kuscheltier geschlungen in ihrem Bett lag, hörte nichts lieber als den regelmäßigen Atem ihres tief schlummernden Paulinhos.
    Das heißt, noch lieber hätte sie Fernandos Atem gehört. Doch nach zwei Nächten, die er hier mit ihr verbracht hatte, war Jujú zu der Überzeugung gelangt, dass es besser wäre, wenn er nicht noch öfter über Nacht blieb. Die Gefahr der Entdeckung, die immerzu über ihnen hing, machte ihr so zu schaffen, dass sie den Genuss des Beisammenseins empfindlich beeinträchtigte.
    Jujú wusste, dass Fernando überhaupt kein Verständnis dafür aufbringen würde, dass Paulinho in ihrem Bett schlief, aber er musste ja nichts davon erfahren. Als er es schließlich doch tat, durch Zufall, weil er gerade auf dem Flur gestanden und gesehen hatte, wie der Junge in Jujús Schlafzimmer verschwand, machte er ihr Vorwürfe.
    »Ich wünschte, ich hätte mit acht ein eigenes Bett gehabt.«
    »Nun, deine bescheidene Herkunft tut bei der Erziehung Paulinhos ja wohl nichts zur Sache, oder?«
    »Von Erziehung kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein, Jujú. Du verziehst ihn. Er ist doch kein Kleinkind mehr. Ein Achtjähriger muss allein in einem Bett schlafen können.«
    »Du bist so hart und streng, Fernando. Wenn der Junge doch Angst hat? Dafür sind Mütter schließlich da, oder, dass sie ihre Kinder beschützen?«
    »Du beschützt ihn nicht, Jujú. Im Gegenteil: Du verweigerst ihm eine der wichtigsten Lektionen seines jungen Lebens – dass er sich auch selber beschützen kann und muss. Irgendwann kann er nicht mehr zu seiner Mama ins Bett krabbeln. Oder wie lange gedachtest du diesen unmöglichen Zustand aufrechtzuerhalten?«
    »Spätestens in zwei Jahren muss Paulinho ins Internat. Warum soll ich die kostbare Zeit, die mir jetzt mit ihm bleibt, nicht ausnutzen?«
    Im Grunde ihres Herzens wusste Jujú, dass Fernando nicht ganz unrecht hatte. Dennoch fiel es ihr zunehmend schwerer, Paulinho irgendeinen Wunsch zu verweigern. Sie sprach mit niemandem darüber – der einzige Mensch, mit dem sie hätte reden können, nämlich Fernando, wäre außer sich vor Ärger gewesen, hätte er gewusst, was sie sich alles von ihrem Sohn gefallen ließ.
    Paulinho mochte keine grünen Bohnen essen? Bitte schön – dann bekam er eben mehr Reis. Er wollte seine blaue kurze Hose nicht mehr tragen? In Ordnung, dann durfte er eben die gute lange Hose anziehen. Er konnte die Rechenaufgaben nicht ohne Hilfe machen? Also gut, dann rechnete sie ihm die Lösungen eben vor. Diese Entwicklung nahm eine Dynamik an, der Jujú machtlos gegenüberstand. Jedes Mal, wenn sie

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