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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Telefon zu greifen und Deiner überschäumenden Freude Ausdruck zu verleihen. Denn das ist es doch, was Du fühlst, oder? Wenn nicht, dann melde Dich lieber nicht.
    Ich umarme und küsse Dich,
    Laura
    Laura ließ den Bogen offen auf ihrem Schreibtisch liegen. Sie wollte erst eine Nacht darüber schlafen und morgen früh entscheiden, ob sie den Brief so abschicken sollte. Sie streckte sich und gähnte. Sie hatte die Zeit völlig vergessen – es war bereits nach elf Uhr. Und Ricardo? Saß er etwa immer noch auf dem Boden und studierte das Buch? Wenn sie ihn nicht ins Bett steckte, ihm eine Geschichte erzählte und einen Gutenachtkuss gab, würde er sicher noch nicht eingeschlafen sein. Leise schlich sich Laura ins Kinderzimmer. In der Tat: Ihr Sohn saß auf dem Boden, beschäftigte sich nun allerdings mit einem etwas anspruchsvolleren Buch. Nichts an ihm deutete darauf hin, dass er müde war. Keine glasigen Augen, kein schläfriger Gesichtsausdruck, kein aggressives Toben, wie sie es bei anderen übermüdeten Kindern manchmal beobachtet hatte – er schien wach und konzentriert zu sein wie am Nachmittag. Es war ein wenig beängstigend. Andererseits: Was war schon dabei, solange er normal wuchs und gedieh, solange er nicht tagsüber vor Müdigkeit wie gelähmt und immer friedlich war? Er war eben anders als andere Kinder, sagte Laura sich stolz.
    Sie machte ihn fertig fürs Bett, brachte geduldig das allabendliche Ritual aus Vorlesen, noch mehr Vorlesen, Küssen und Zudecken hinter sich und fiel dann, selber erschöpft und todmüde, wie ein Stein in ihr Bett.
    Sie erwachte neun Stunden später, erfrischt und in aufgeräumter Stimmung. Ricardo musste lange vor ihr auf gewesen sein, denn in der Küche fand sie die Trümmer seiner Versuche, sich ein Frühstück zuzubereiten. Was war sie nur für eine Mutter? Zum Ausgleich würde sie Pfannkuchen machen. Sie rief Ricardo, der es ihr nicht besonders übel zu nehmen schien, dass sie so lange geschlafen und ihn dabei vernachlässigt hatte, und der sich sehr über die Pfannkuchen freute. Laura war fast zu Tränen gerührt über die Dankbarkeit und Genügsamkeit des Jungen. »Das nächste Mal, wenn ich so lange schlafe, weckst du mich einfach, ja?« Eine Haushaltshilfe oder ein Kindermädchen, das jeden Tag schon um acht Uhr morgens auf der Matte stand, wollte Laura nicht einstellen. Es störte sie bereits, wenn zweimal in der Woche die Putzfrau kam. Diesen Leuten ging jegliches Verständnis für das Künstlerleben ab, zu dessen größten Privilegien Laura die frei einteilbare Zeit zählte. Sie konnte schlafen, wann es ihr beliebte.
    Nach dem Frühstück duschte sie. Dann las sie noch einmal ihren Brief durch, fand ihn in Ordnung und steckte ihn in ein Kuvert. Sie wollte später zu ihrer Mutter fahren und Ricardo für ein paar Stunden dort abliefern, und bei der Gelegenheit würde sie auch den Brief einwerfen. Es hatte gutgetan, Jakob endlich die Wahrheit zu schreiben. Laura war ausgezeichneter Laune und beschloss, sich ihrer Mutter heute einmal von ihrer besten Seite zu zeigen. Oder besser: Von der Seite, die ihre Mutter für ihre beste hielt. Sie zog eines der feinen Kleider an, die sie ihr aufgenötigt hatte, steckte ihr Haar zu einer etwas konservativen, sehr damenhaften Frisur auf und legte den Perlenschmuck an, den sie vor Jahren von ihren Eltern geschenkt bekommen hatte. Ha, dachte Laura beim Blick in den Spiegel, Dona Juliana wie sie leibt und lebt!
    »Du siehst aus wie Oma«, bemerkte auch Ricardo, der nun ihr Zimmer betrat.
    »Oh, danke dir, mein Held! Aber doch wohl jünger und hübscher als Oma, oder?«
    Er schien ernsthaft über eine Antwort nachzudenken, was Lauras gehobene Stimmung merklich abflauen ließ. Egal, sagte sie sich, jetzt wollte sie sich auch nicht mehr extra umziehen. Eigentlich fand sie sich in dieser ungewohnten Aufmachung sogar ziemlich hübsch. Und andere waren offenbar derselben Ansicht, denn als Laura, mit Ricardo im Schlepptau, in ihren hochhackigen Pumps über die Pflastersteine trippelte, sahen ihr viel mehr Männer nach als sonst. Dass es an ihrem gelösten Gesichtsausdruck lag und nicht an ihren Kleidern, ahnte Laura nicht.
     
    Eine Woche später flatterte ein Brief von Jakob ins Haus. Nanu, wunderte Laura sich, so schnell hatte sie mit keiner Antwort gerechnet. Hastig riss sie den Umschlag auf. Doch ihre freudige Erregung angesichts des Volumens des Briefs schlug schnell in Enttäuschung um. Er berichtete ihr in beiläufigem Ton von

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