So weit der Wind uns trägt
Welt kommen sollte. Sein drittes.
Fernando nahm die Stricksachen samt Wollknäuel an sich. Das würde er behalten – und dabei immer an die fleißigen, geschundenen Hände seiner Mutter denken.
Was keine Rede, keine Beileidsbekundung und kein armseliges Erbstück geschafft hatte, nämlich bis zu seinem Herzen vorzudringen, ihm die Trauer schmerzhaft zu Bewusstsein zu bringen, das gelang jetzt diesen harmlosen Stricksachen.
Verstohlen wischte Fernando sich eine Träne aus dem Auge.
18
R ui da Costa war mit seinen knapp vierzig Jahren ein ausgesprochen attraktiver Mann. Die grauen Haare an den Schläfen und in seinem Schnurrbart sowie die Fältchen um die Augen ließen ihn maskuliner wirken. Seine Gesichtszüge waren schärfer ausgeprägt als in jüngeren Jahren und gaben ihm eine markante Note. Sein Teint war sonnengebräunt, seine Figur unverändert schlank und muskulös. Zahlreiche Stunden auf dem Tennisplatz hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Rui hatte noch immer ein Faible für Mode, kleidete sich aber, wie es sich für einen portugiesischen Geschäftsmann gehörte, recht konservativ. Er machte alles in allem den Eindruck eines Mannes, der sowohl privat wie auch beruflich Erfolg auf ganzer Linie hatte.
Und so war es auch – nach außen hin. Im väterlichen Unternehmen hatte er sich unentbehrlich gemacht. Dank der Korkeichenpflanzungen, die Jujú zur Hochzeit von ihren Eltern übereignet worden waren, war die Korkfabrik, die er und sein Vater zusammen aufgezogen hatten, überaus profitabel. Sie waren der größte Exporteur von Weinkorken in der ganzen Region – die Lieferungen gingen vorwiegend in die europäischen Weinanbaugebiete – und priesen unermüdlich die Vorteile des Materials, um sich auch andere Märkte zu erschließen. Kork war wärmeisolierend, schalldämpfend, wasserdicht und noch dazu extrem leicht. Es wurde als Einsatz von Kronkorken verwandt, und es wurden Bodenbeläge für Badezimmer aus Kork-Granulat hergestellt. Doch Rui träumte davon, Kork auch als Baustoff oder als Material für Schuhsohlen und für viele andere Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens zu größerer Anerkennung zu verhelfen. Er stand mit seinen Visionen allein auf weiter Flur. Seine Eltern gaben ihm zwar zu erkennen, dass sie seine Ideen brillant fanden, doch insgeheim schüttelten sie die Köpfe über eine solche Realitätsferne. Und seine Frau, Jujú? Die interessierte sich sowieso nicht für das, was Rui tat. Weder für die Korkfabrik noch für den Weinanbau. Und schon gar nicht für sein Privatleben. Gott sei Dank.
Seit sie gänzlich nach Lissabon gezogen war, fiel es Rui wesentlich leichter, sich abends aus dem Staub zu machen. Alle Sympathien, seien es die seiner Eltern, die der Nachbarn oder die der Dienstboten, waren auf seiner Seite: Es war ja nicht verwunderlich, dass ein Mann, dessen Frau meist durch Abwesenheit glänzte, sich anderweitig zu unterhalten suchte. Und Rui war klug genug, sich diese Unterhaltung dort zu suchen, wo ihn niemand kannte. Hätte er sich in Pinhão auf die Pirsch begeben, wäre seine »widernatürliche« Veranlagung schnell bekanntgeworden. In Lamego, Régua oder Porto dagegen war es vergleichsweise leicht, unerkannt mit einem kernigen Burschen in einem Hotel zu verschwinden. Und kernig mochte er sie, große, kräftige Kerle, die mehr Muskeln als Gehirn hatten. Unter den Erntehelfern am Douro oder den Matrosen in Porto war immer einer zu finden, der ähnliche Neigungen wie Rui hatte.
Rui hasste es, seine Vorliebe für das starke Geschlecht geheim halten zu müssen. Er fand sie weder widernatürlich noch in irgendeiner Weise verwerflich. Aber er wusste auch um die Vorurteile der Leute und um die verheerenden Auswirkungen, die das Bekanntwerden seiner Veranlagung auf das Geschäft gehabt hätte. Es ging einfach nicht. Er konnte niemanden einweihen. Und genauso wenig gelang es ihm, Frauen etwas abzugewinnen. Er hatte es versucht. Lieblos war er seinen ehelichen Pflichten nachgekommen, in der Hoffnung darauf, weiteren Nachwuchs zu zeugen, der sämtliche Versuche übler Nachrede oder auch nur entsprechende Andeutungen im Keim erstickt hätte. Er hatte nach Laura unbedingt noch einen Sohn gewollt – und als Paulo dann endlich zur Welt gekommen war, hatte Rui ganz aufgehört, das Bett mit Jujú zu teilen.
Vielleicht hatte er Jujú damit aus dem Haus getrieben. Vielleicht hatte sie gespürt, dass er sie nur benutzt hatte, um sich fortzupflanzen und sich unter dem Deckmantel
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