So weit der Wind uns trägt
der Ehrbarkeit zu verstecken. Denn dumm war sie sicher nicht, seine liebe Gattin. Sie mochte ein schockierendes Desinteresse für alle wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten an den Tag legen, sie mochte sich gelangweilt der Einrichtung des Hauses widmen, die er im Übrigen sehr geschmackvoll fand, und sie mochte einen Mangel an Abenteuerlust sowie damit einhergehend das Bedürfnis nach Ruhe vorgeben – aber dumm war sie nicht.
Rui fragte sich gelegentlich, ob Jujú überhaupt in der Lage war, sich leidenschaftlich mit einem Thema auseinanderzusetzen, echten Enthusiasmus für irgendetwas aufzubringen. Anfangs, als er ihr den Hof gemacht hatte, war er versucht gewesen zu glauben, in ihr eine Gefährtin und Freundin gefunden zu haben. Jemanden, mit dem man wenn schon keine Zärtlichkeiten austauschen, so doch wenigstens reden, planen, lachen und träumen konnte. Doch die Jujú, die dann als seine Ehefrau nach Pinhão gekommen war, glich nicht im Entferntesten der quirligen jungen Frau, die er kennengelernt hatte.
Er bezweifelte, dass ein anderer Mann dahintersteckte. Sie war ja noch Jungfrau gewesen. Und gleich nach der Hochzeit war sie zu ihm an den Douro gezogen. Wo und wie hätte sie da einem anderen begegnen können? Nicht, dass es ihn sonderlich getroffen hätte. Er hätte nur zu gern gewusst, was diesen Wandel in ihrer Persönlichkeit ausgelöst hatte. Aber vielleicht würde ihnen beiden ja die räumliche Entfernung zugutekommen. Was auch immer sie in Lissabon trieb – schaden konnte es ihr sicher nicht.
Ein wenig freute Rui sich sogar auf das Wiedersehen. Besonders seine Kinder hatten ihm gefehlt. Fast ein halbes Jahr war vergangen, seit Jujú die Wohnung in Lissabon bezogen hatte. Sie hatte gute Gründe angeführt. »Das Klima hier im Norden verschlimmert Paulos Asthma nur. Die vielen Reisen nach Lissabon sind ebenfalls lästig, für alle Beteiligten. Meine Schwester macht schon spitze Bemerkungen, wenn wir uns wieder ankündigen. Und ein Hotel hätte etwas so … Unheimisches, wenn du verstehst, was ich meine.« Rui verstand. Er verstand auch die Notwendigkeit, Laura auf ein Internat zu schicken, ganz so, wie alle da Costas ab ihrem zehnten Lebensjahr exklusive Bildungseinrichtungen besucht hatten. Laura war genau in dem richtigen Alter dafür. Der Vorschlag war von ihm selber gekommen, schon Jahre zuvor – dennoch verübelte Rui es seiner Frau jetzt, dass sie das Kind in ein Internat gab: Jujú wollte Laura doch nur aus dem Weg haben. Sie war eine Rabenmutter. Und er hatte sie dazu gemacht. Ach, Unsinn! Es lag nur an der Weihnachtszeit, sie stimmte ihn immer nachdenklich. Unwirsch schob Rui jeden Gedanken an seine eigene Verantwortung als Vater beiseite. Kinder waren schließlich Frauensache. Erst recht die Töchter.
Anders als die meisten Mädchen ihres Alter fieberte Laura ihrem elften Geburtstag überhaupt nicht entgegen. Jeder hatte ihr versichert, dass es ein großes Glück war, ein wahrer Segen, an Heiligabend geboren zu sein – ein echtes Christkind sei sie. Aber die so etwas behaupteten, wussten einfach nicht, wie es war. Es war gemein, dass an dem Tag, an dem sie allein im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit hätte stehen und sie allein Geschenke hätte bekommen sollen, ein so großes religiöses Fest begangen wurde. An Heiligabend wurde aufwändig gekocht, es kam oft Besuch, man ging zur Christmette. Zugegeben, Geschenke bekam sie zwar, meistens sogar sehr viele, bevor dann am nächsten Tag gleich noch einmal eine Bescherung stattfand – aber für eine richtige Geburtstagsfeier hatte niemand Zeit. Und wen hätte sie schon einladen sollen? Ihre Freundinnen von früher, Mädchen aus Pinhão oder von den umliegenden Quintas, feierten ja alle selber die Heilige Nacht vor Weihnachten. Und die neuen »Freundinnen« aus dem Internat wollte sie sowieso nicht um sich haben, die dummen Ziegen.
Na ja, dachte Laura, wenigstens war sie wieder zu Hause, wenn auch nur für die drei Wochen ihrer Schulferien. Wenn sie das Fahrrad geschenkt bekäme, das sie sich gewünscht hatte, würde sie damit die ganze Nachbarschaft abklappern. Sie würde üben, freihändig zu fahren, wie sie es in Lissabon bei einem Briefträger gesehen hatte, und würde sich dafür von ihren alten Freundinnen bewundern und von ihren Großeltern ausschimpfen lassen. Vielleicht würde sie sogar absichtlich stürzen, denn dann würde ihre Mamã sie bemitleiden und ihr aufgeschlagenes Knie verarzten und sie an sich
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