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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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Pause gemacht und wollte dort beten. Fritz ist zu den Männern gegangen. Er hat gar nichts zu sagen brauchen. Sie haben die Hand an ihre Mütze gelegt und einer hat Meldung gemacht. Der Fritz hat mit einer klaren, metallenen Stimme gesprochen. Er hat gesagt, dass die US-Armee in wenigen Stunden hier einmarschieren wird. Die Sherman-Panzer werden das Spielzeughindernis wegpusten. Im Ort hängen schon jetzt die ersten weißen Fahnen. Sie werden bald aus vielen Fenstern flattern, weil nicht geschossen werden soll. Weil der Ort nicht zerstört werden soll. Aber dann sehen die Amis diese Sperre hier an der Brücke. Werden sie nicht argwöhnen, dass die weißen Fahnen nur eine Falle sind? Dass sie in einen Hinterhalt gelockt werden sollen? Theresienruh wird verteidigt. Das wird ihnen die Panzersperre sagen. Sie werden nicht unbedacht weiter vordringen, sondern ihre Flieger anfordern, ihrer Artillerie das neue Zielgebiet nennen. Auch die Panzer werden zu schießen anfangen, kurzum, sie wollen keinen Mann mehr verlieren und werden erst weiter vorrücken, wenn Theresienruh ein qualmender Trümmerhaufen ist. Und das alles wegen einer unnützen Barrikade. Also, abbauen das Scheißding, hopp, hopp. Hat er gesagt. Da sind sie gesprungen. Keine Viertelstunde und die Straße war wieder frei.« Sie seufzte und wischte sich mit dem Schürzenzipfel die Tränen aus den Augen. »War schon ein schneidiger Leutnant, der Fritz.«
    »Wieso war? Er ist es immer noch.«
    »Vielleicht wär ja alles gut gegangen. Aber als der Fritz die Männer hat antreten lassen und ihnen gesagt hat, der Volkssturm in Theresienruh ist ab sofort aufgelöst, genau in diesem Augenblick ist das Auto mit großer Geschwindigkeit angebraust gekommen. Es hat so hart gebremst, dass der Splitt hochgespritzt ist. Drei sind ausgestiegen. Ich glaube, die waren von der SS, weißt du, solche mit der Kette um den Hals. Meine Tochter Hannerl sagt immer, das sind die Kettenhunde. Die sind gefährlich. Deshalb hab ich mich hinter dem Nepomuk versteckt. Sie haben wissen wollen, warum die Sperre noch nicht geschlossen ist. Da hat der Fritz gesagt, er hat’s befohlen, weil die Sperre ein Unsinn ist. Sie zieht nur das feindliche Artilleriefeuer auf Theresienruh. Dann haben sich die Männer beraten. Nicht lange. Einer hatte ein Blatt Papier in der Hand. Er hat irgendwas von Wehrkraftzersetzung gesagt. Sie haben Fritz vor den Bretterhaufen der Sperre geführt. Der Fritz hat nichts mehr gesagt. Dann haben sie ihn erschossen, sind wieder rein in den Wagen und mit Vollgas weggefahren. Die Volkssturmleute sind einfach weggegangen. Den Fritz haben sie vor der Sperre liegen lassen.«
    »Einfach liegen lassen?«, fragte Anna. »Und wo ist er jetzt?«
    »Mein Hannerl und ich haben ihn begraben. Wir haben ihn in die Gärtnerei getragen und am Ende eines Beets beerdigt. Hannerl hat den Pfarrer holen wollen, aber der war zu einer Krankenkommunion unterwegs. Seine Haushälterin hat es Hannerl versprochen, dass es eine richtige Bestattung auf unserem Kirchhof gibt, sobald der Krieg vorbeigezogen ist. Und ganz bestimmt bekäm er ein Grab neben den Gefallenen vom letzten Krieg.«
    Anna war wie erstarrt. Friedrich tot. Umgebracht worden wie ein Verbrecher. Verscharrt wie ein Stück Vieh. Als die alte Frau sie an sich zog und fest in ihren Armen hielt, fing sie an zu weinen.
    »Ich weiß, Mädchen, hast ihn lieb gehabt, den Fritz. Ich weiß es. Hab dich ja gesehen, wenn du zu ihm gegangen bist.« Sie redete leise auf Anna ein, erzählte von ihrem Sohn Ferdl, der genau an seinem vierunddreißigsten Geburtstag in Afrika gefallen war.
    Es dauerte lange, bis Anna zu schluchzen aufhörte.
    »Zeigen Sie mir die Stelle, wo er gelegen hat«, bat sie. Die Alte ging mit ihr zur Brücke, wo die Balken noch immer durcheinanderlagen.
    »Dort«, sagte sie und zeigte auf einen Blutfleck. Dann wandte sie sich ab. »Ich kann nicht länger bleiben. Mich friert’s.«
    Sie schlurfte mit müden Schritten auf den Ort zu. Den Korb mit dem Salat hat sie in der Gärtnerei stehen lassen.
    Dicht neben dem Blutfleck fand Anna eine Achselklappe von Friedrichs Uniform. Es sah aus, als wäre sie ihm abgerissen worden. Sie nahm sie an sich und ging zum Schloss zurück.
    Dr. Scholten hatte die Englischlehrerinnen gebeten, auf ein Stück Pappe groß in Englisch zu schreiben, dass in Theresienruh Mädchen aus einer Schule aus Oberhausen untergebracht seien. Das Schild sollte an das Eingangsportal des Schlosses geheftet werden, damit

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