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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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die Amerikaner wussten, dass keine deutschen Soldaten im Haus zu finden seien.
    Die drei Englischlehrerinnen berieten sich. Dr. Scholten vermutete, sie suchten nach einer treffenden Formulierung, aber dann schickten sie Frau Hennig vor. »Herr Direktor«, sagte sie, »wir sind zu dem Entschluss gekommen, das Schild nicht zu schreiben. Wir wollen uns nicht in der Sprache unserer Feinde bei den Amerikanern anbiedern.«
    Dr. Scholten starrte sie verblüfft an. Er wurde blass vor Zorn. »Unglaublich!«, schrie er sie an. »So eine unglaubliche Borniertheit bei studierten Leuten!«
    Frau Hennig presste die Lippen zusammen und senkte den Blick. Sie traute sich nicht, ihm in die Augen zu sehen.
    Dr. Scholten sprach mit Schwester Nora.
    »Seit meiner Schulzeit habe ich nichts mehr mit der englischen Sprache zu tun gehabt«, sagte er. »Latein oder Griechisch, ja, damit würde ich es schon hinbekommen. Was machen wir denn jetzt?«
    »Die Anna Mohrmann, Otto. Sie ist sprachbegabt und gut in Englisch. Frag die. Sie soll dir den Satz auf einen Zettel schreiben. Ich werde ihn dann auf ein großes Plakat übertragen.«
    Dr. Scholten ließ Anna in sein Büro rufen. Ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Mit merkwürdig steifen Bewegungen setzte sie sich ihm gegenüber an den Schreibtisch.
    »Hat es Streit zwischen euch Mädchen gegeben?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Warum hast du geheult?«
    Wieder flossen Tränen. Stockend stieß Anna hervor: »Sie haben den Friedrich erschossen.«
    Dr. Scholten wusste nicht, was sie meinte.
    »Der Leutnant, der uns die Salatpflanzen gegeben hat. Der Einarmige. Dem ich meine Arme geliehen habe.«
    Dr. Scholten konnte sich immer noch kein Bild machen. »Ist er bei einem Tieffliegerangriff umgekommen?«
    »Nein! Nein! Unsere eigenen Leute, die SS-Streife, die Kettenhunde. An der Brücke bei der Nepomuk-Figur haben sie ihn erschossen.« Sie nestelte in ihrer Tasche und legte Dr. Scholten die Achselklappe auf den Schreibtisch.
    »Warum? Warum ist das passiert?«
    »Er hat den Männern vom Volkssturm befohlen, die Panzersperre an der Brücke wegzuräumen. Weil sie doch sowieso sinnlos ist. Weil die Amis glauben könnten, Theresienruh wird verteidigt. Weil sie dann den ganzen Ort zerstören. Weil …« Anna schluchzte so heftig, dass sie nicht weitersprechen konnte.
    »So kurz vor dem Einmarsch«, stammelte Dr. Scholten fassungslos. »So ein Gewalturteil eines Standgerichts. So ein sinnloses Töten.«
    Er ging um den Schreibtisch herum. Anna stand auf. Dr. Scholten, der immer darauf bedacht gewesen war, körperliche Berührungen mit Mädchen seiner Schule zu vermeiden, legte vorsichtig den Arm um Anna. »Mir ist auch zum Heulen zumute«, sagte er leise. »Wer will das alles verantworten, was da geschieht?«
    Anna löste sich aus der Umarmung und hockte sich wieder auf den Stuhl. Verlegen wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Dr. Scholten gab ihr sein Taschentuch.
    »Weshalb haben Sie mich rufen lassen, Herr Direktor?«
    Er schilderte ihr, was er plante, und schob einen Zettel über den Schreibtisch.
    »Highschool for Girls …«, sagte sie und überlegte einen Augenblick. »Die fremden Soldaten werden nicht wissen, wo Oberhausen liegt. Ich würde lieber schreiben Highschool for Girls coming from the Rhine-District. Soll ich?«
    »Sicher, Anna. Das trifft’s viel besser.«
    Eine halbe Stunde später befestigte er das Schild mit Heftzwecken an dem Portal. Es war so groß, dass niemand es übersehen konnte. Außerdem hatte Schwester Nora die große Rotkreuzflagge vor dem Schloss an dem Fahnenmast aufhängen lassen, an dem noch vor drei Tagen wegen Hitlers Tod die Hakenkreuzfahne auf Halbmast gehisst worden war.
    Anna lag auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Erst als Lydia hereinkam, setzte sie sich auf.
    »Ich hab schon gehört«, sagte Lydia leise. »Sie haben deinen Friedrich erschossen.«
    Dann geschah etwas, was Anna nicht erwartet hatte. Lydia kam zu ihr und umarmte sie. Zum ersten Mal, seit sie denken konnte, wurde sie von ihrer Schwester in den Arm genommen. Lydia, die all die Jahre niemals so etwas wie Mitgefühl hatte zeigen können, schloss sie in die Arme.
    Manchmal geschehen noch Wunder, dachte Anna und sie fühlte sich ein wenig getröstet.
    Der Lärm der Geschütze verstummte nicht mehr. Im Ort gab es kaum ein Haus, das keine weiße Fahne zeigte. Es hieß, der Ortsgruppenleiter und seine Familie hätten sich mit zwei Autos auf den Weg gemacht. Er wolle helfen, eine neue

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