So weit die Wolken ziehen
hervorragende Betreuung und eine gute Verpflegung selbstverständlich …«
Frau Lötsche unterbrach ihn: »Und was, bitte schön, ist nicht verwirklicht worden?«
»Da hat der Rechtsanwalt aus der Bibel zitiert und gesagt: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Der Parteigenosse hat ihm nicht widersprochen. Kurzum, ich bin nicht dafür, ein Verbot auszusprechen.«
»Klar«, sagte Frau Lötsche bissig, »Sie laufen ja selbst oft genug zum Kloster.«
»Ich musiziere nun mal gern, Frau Kollegin. Die Orgel ist eben die Königin der Instrumente.«
»Ich nehme an«, sagte der Direktor, »es sind nicht in erster Linie die religiösen Dinge, die die Mädchen bewegen, zur Messe zu gehen. Wie könnte man sich sonst erklären, dass nicht nur einige katholische Mädchen davon angelockt werden. Ich habe mir sagen lassen, dass sich auch mehrere evangelische den Kirchgängerinnen anschließen.«
»Das kann ich bestätigen«, sagte Dr. Scholten. »Wir sollten das ganz einfach ignorieren und den Mädchen damit ein Ventil schaffen. Ich will sagen, sie dürfen nicht das Gefühl bekommen, sie seien hier eingesperrt.«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte der Direktor.
Und in den Vorschriften stöbern, dachte Dr. Scholten.
»Frau Czech ist nun schon seit einigen Wochen bei uns«, fuhr der Direktor fort. »Welchen Eindruck haben Sie von ihrer Arbeit?«
Frau Lötsche überlegte nicht lange. »Die neue LMF ist ein Gewinn für unser Lager. Einerseits hat sie die Ordnung im Griff, andererseits kann sie die Mädchen begeistern.«
»Ich stimme Ihnen zu, Frau Kollegin«, sagte Dr. Scholten. »Die Strafen für die Mädchen finde ich allerdings ziemlich drastisch.«
»Das sehe ich ganz anders. Ist es Ihnen nicht aufgefallen, dass die Bestrafung immer in engem Zusammenhang mit den Freizeitangeboten steht?«
»Was für ein Zusammenhang?«
»Alles dient dazu, die Mädchen zu tüchtigen Hausfrauen zu erziehen. Nicht nur polieren, waschen, putzen, fegen, sondern auch nähen, stricken, kochen und so weiter. All dies bereitet die Mädchen auf ihre spätere Rolle als Mutter, Hausfrau und Kameradin ihres Mannes vor.«
»Und wie ordnen Sie das massenhafte Abschreiben vom Lebenslauf des Führers ein?«
»Auch die Achtung vor Leben und Leistung Adolf Hitlers gehört zum Grundwissen der Volksgemeinschaft.«
Dr. Scholten atmete tief durch. Irgendwie klang das ja ganz schlüssig, was die Kollegin da vortrug. Aber er selbst war sich sicher, dass viele seiner Schülerinnen genauso für ein Studium geeignet waren wie die jungen Männer, die Jurist, Arzt oder Historiker werden wollten.
Der Direktor beendete die Besprechung mit dem Hinweis, dass am Tag der Arbeit, am 1. Mai, eine weitere Festversammlung stattfinden sollte.
»Sie werden dann sicher ein paar Worte sagen, Herr Doktor. Schließlich hat die Regierung den 1. Mai 1933 zu einem bezahlten Feiertag erklärt. Vorher ist jahrelang vergeblich darum gekämpft worden.«
»Bitte, Herr Aumann. Nicht schon wieder ich. Im Abstand von wenigen Tagen soll ich erneut reden? Das überfordert mich und langweilt schließlich auch die Zuhörer. Vielleicht sollten Sie selbst …«
»Ich kann so etwas nicht. Aber vielleicht haben Sie noch eine andere Idee?«
»Es wäre doch nicht schlecht, wenn wir jemanden aus dem Dorf fänden, einen älteren Herrn, der selbst als Arbeiter der Faust diesen Feiertag lange herbeigesehnt hat.«
»Gut. Sehen Sie sich mal um, Herr Kollege. Ich verlasse mich da ganz auf Sie.«
Dr. Scholten holte sich Rat bei Frau Zitzelshauser. Die empfahl ihm: »Ich würde den alten Robert Nowotny bitten. Der ist vor Jahren aus dem Altreich nach Maria Quell gekommen. Er hatte eine Wallfahrt hierher gelobt, weil er eine Notsituation gut überstanden hatte. Er war ein armer Schlucker und hat im Tannenhaus gewohnt. Er wollte, weiß der Kuckuck, warum, den Ort nicht mehr verlassen. Ein paar Jahre hat er im Kloster als Faktotum gearbeitet. Dann hat er ganz plötzlich die verwitwete Notburga Spitz geheiratet, worüber alle gestaunt haben. Die Burgl ist nicht gerade eine Schönheit. Aber sie geht in goldenen Schuhen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Jedenfalls kann sie ihren Mann ernähren.«
»Und warum soll ich gerade diesen Robert fragen?«
»Na, der hat oft damit geprahlt, dass er im Reich ein guter Arbeiter auf dem Bau gewesen ist. Und einen Arbeiter suchen Sie doch, oder?«
Dr. Scholten fragte vorsichtshalber auch Pater Martin, was er davon hielte. Der Pater zog die Lippen breit und
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