So weit die Wolken ziehen
waren, welche Offiziere mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet werden konnten, ob die U-Boot-Waffe wieder einmal zugeschlagen hatte. All die Nachrichten sollten die Hoffnung auf den Endsieg stärken. Von den Bombardements auf Wien, Berlin und die Städte im Ruhrgebiet, die in den letzten Wochen auch tagsüber immer häufiger geflogen wurden, erwähnte er nichts. Nur den Angriff auf die kriegswichtigen Kugellagerwerke in Schweinfurt vermeldete er. Zum ersten Mal sollten mehr als hundert feindliche Flugzeuge abgeschossen worden sein.
»Es gibt aber noch eine Mitteilung, die unser Haus betrifft.«
Das leise Gemurmel verstummte. Unser Haus? Alle Mädchen waren gespannt darauf, was er nun verkünden wollte.
»In den letzten Nächten«, begann er, schwieg aber dann einen Augenblick und räusperte sich, bevor er fortfuhr, »also, in den letzten Nächten hat sich ein Sittenstrolch um den Quellenhof herumgeschlichen. Er erdreistete sich, einigen Mädchen unmoralische Angebote zu machen. Doch die haben das, wie ich es auch nicht anders erwartet habe, sofort bei mir gemeldet. Dieser Bursche konnte in der letzten Nacht von der Polizei verhaftet werden. Mit Bedauern muss ich euch mitteilen, dass es ein angetrunkener Matrose der Kriegsmarine gewesen ist. Er wird noch vor Beendigung seines Urlaubs zu seiner Einheit nach Kiel zurückgeschickt und dort erwartet ihn seine Strafe.«
Am Abend rief Frau Lötsche die Mädchen zu einer Singrunde zusammen. Anna wollte ein lustiges Lied vorsingen. Sie fragte sich, ob wohl jemand bemerken würde, dass sie den Text leicht verändert hatte.
»Das Lied heißt: Ein kleiner Matrose«, kündigte sie an. Frau Lötsche schwante Böses, doch bevor sie das Singen verhindern konnte, begann Anna:
»Ein kleiner Matrose umsegelte die Welt.
Er liebte ein Mädchen, das hatte gar kein Geld.
Der Seemann wurd verhaftet und ganz schnell abgeführt.
Das hatte das Mädchen zu Trähänen gerührt.
Das Mädchen musste sterben und wer war schuld daran?
Der kleine Matrose in seinem Liebeswahn.«
Alle klatschten begeistert und riefen: »Weiter, weiter!«
Anna sagte: »Mehr Strophen hat das Lied leider nicht.«
Frau Lötsche war geschickt genug, auf die Stimmung einzugehen, und stimmte an diesem Abend nur lustige Lieder an. Das Lied vom kleinen Matrosen erklang in den nächsten Tagen überall im Quellenhof.
»Mich verfolgt der kleine Matrose schon bis in die Träume«, seufzte Frau Lötsche.
Das vertrauensvolle Verhältnis von Direktor Aumann zu Frau Lötsche hatte sich seit ihrem Versetzungsgesuch deutlich abgekühlt. Trotzdem lud er sie und Dr. Scholten jeden zweiten Montag zu einem Gespräch in sein Büro ein. Es drehte sich dabei meist um die Probleme im Haus. So auch an diesem letzten Montag im April. Er wollte noch einmal zur Sprache bringen, dass nach wie vor einige Mädchen sonntags zur Wallfahrtskirche hinaufgingen.
Er schilderte kurz seine Beobachtungen und schloss: »Sie haben es mir wiederholt gesagt, Frau Lötsche, und ich teile ihre Meinung, dass die Kontakte zu den Mönchen ein Störfaktor sind. Aber welche Folgen könnte es haben, wenn wir den Mädchen kurzerhand den Besuch der Sonntagsmesse untersagen?«
»Auf jeden Fall können wir dann gemeinsame Unternehmungen besser planen. Am Muttertag haben wir vor, den kinderreichen Frauen im Dorf ein Ständchen zu bringen. Es sind immerhin elf Mütter, die das Goldene Mutterkreuz verliehen bekommen haben. Eine zwölfte hat vor drei Wochen ihr siebtes Kind geboren. Mit dem Ortsgruppenleiter ist abgesprochen, dass unser Chor singt, wenn ihr das Ehrenzeichen verliehen wird. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr uns die Patres da oben an den Sonntagen unsere Vorhaben durchkreuzen.«
»Ich erinnere daran«, wandte Dr. Scholten ein, »dass ein Verbot ganz bestimmt Widerstände in der Elternschaft hervorrufen würde. Sie wissen doch, dass vor der Einrichtung unseres KLV-Lagers ein Parteigenosse in der Elternversammlung dafür geworben hat, möglichst alle Kinder für Maria Quell anzumelden.«
»Was ist daran falsch gewesen?«, fragte Frau Lötsche.
»Nun, mir klingt jetzt noch die Frage von Rechtsanwalt Meyer in den Ohren, der wissen wollte, wie es mit der religiösen Erziehung der Kinder während des Lageraufenthalts stehe. Der Genosse wies auf all die Vorzüge hin, die ein solches Lager hätte. Es sei sichergestellt, dass die Schülerinnen vor den Terrorangriffen geschützt seien und in erstklassigen Hotels untergebracht werden könnten; dass eine
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