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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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sie trotzdem an. Es wird schon gehen, dachte sie.
    Sie mussten sich der Größe nach aufstellen.
    »Die Gruppe ist sehr groß. Ich werde euch so einteilen, dass ich die Mädchen übernehme, die einen Auffrischungskurs nötig haben«, sagte Heidrun Czech. »Wir gehen zum Hang. Die besten Läuferinnen machen unter der Leitung von Anna einen Langlauf. Das Mittagessen ist heute ausnahmsweise erst um halb zwei. Um Viertel nach eins sind alle wieder hier am Quellenhof. Alles klar?«
    »Alles klar.«
    Es waren nur acht, die sich zutrauten, ohne zusätzliches Training eine längere Fahrt zu unternehmen. Sie zogen los. Anna wählte eine Piste aus, die leicht bergan führte. Die Ersten forderten schon nach einer halben Stunde eine Pause.
    Lydia widersprach. »Ihr habt euch freiwillig für den Langlauf gemeldet. Kaum ist der Quellenhof nicht mehr zu sehen, da macht ihr schlapp. Ich habe keine Lust auf eine Pause.«
    »Du hast gut reden«, sagte Gerda. »Ich schaffe eine so weite Strecke nicht gleich am ersten Tag. Fahr doch allein weiter, wenn du willst. Ich brauche eine Atempause.«
    Die meisten stimmten ihr zu.
    »Ich führe die Gruppe«, sagte Anna. »Wir bleiben zusammen und legen eine Pause ein. Das gilt auch für dich, Lydia.«
    »Du hast mir gar nichts zu befehlen!«, schrie Lydia wütend und lief mit weit ausgreifenden Schritten weiter.
    »Komm zurück!«, rief Anna hinter ihr her, aber Lydia scherte sich nicht darum.
    Mit der Zeit kamen ihr allerdings selbst Bedenken und sie hätte sich am liebsten auf den Rückweg gemacht. Es hieß, die Russen hätten Männer mit Fallschirmen abgesetzt. Die sollten Eisenbahnlinien zerstören und Brücken in die Luft sprengen. Aber was würden die anderen sagen, wenn sie zuerst die starke Läuferin spielte und dann doch so schnell wieder umkehrte? Sie konnte sich die Hänseleien gut ausmalen.
    Ich werde so laufen, dass ich die Bahngleise im Auge behalten kann, nahm sie sich vor. Dann werde ich mich nicht verlaufen.
    Es ging jetzt steiler bergan. Ihre Schuhe begannen zu drücken. Dort bis zur Kuppe des Hügels halte ich durch, dachte sie. Dann geht es zurück. Sie biss die Zähne zusammen und erreichte nass geschwitzt ihr Ziel. Von hier oben konnte sie weit ins Land hineinschauen. Die Bahngleise vom Dorf her führten weiter oben in einen Tunnel. Genau dort arbeitete eine größere Gruppe von Männern. Sie brachten mit Schubkarren Erde und Gestein aus dem Tunnel heraus und kippten den Abraum vor dem Tunneleingang den Hang hinunter. Da fiel Lydia das Gerücht wieder ein. Die Strecke sei angeblich durch einen Bergbruch im Tunnel unterbrochen worden und zurzeit nicht passierbar.
    Lydia lachte auf. Also hier war der Volkssturm eingesetzt worden und deswegen hatte Dr. Scholten die Schaufel mitnehmen müssen.
    Jetzt kriegen die Männer Schwielen, wie Herr Nowotny sie an den Händen hat, dachte sie und machte sich auf den Rückweg. Ihre Füße schmerzten.
    »Schwielen«, rief sie laut. »Ein Königreich für Schwielen!«
    Nun ging es bergab und der Fahrtwind pfiff ihr um die Ohren. Die Turmuhr vom Kloster schlug zwei, als der Quellenhof in Sicht kam. Zwei Uhr! Um halb zwei sollte das Mittagessen beginnen! Die Bretter der anderen Mädchen lehnten an der Rückwand des Hauses. Lydia stellte ihre Skier hastig dazu, klopfte sich den Schnee von den Kleidern und eilte in den Schuhkeller. Ihre Füße brannten. Auch als sie in die Pantoffeln schlüpfte, wurde es nicht besser. Sie öffnete die Tür zum Speisesaal. Alle schauten sie an. Frau Krase kam auf sie zu.
    »Das war es für dich mit dem Mittagessen. Geh sofort in eure Stube. Über deine Strafe reden wir später.«
    Lydia bekam eine Woche Hausarrest. Dass aber auch Anna bestraft worden war, weil es ihr als Führerin der Gruppe nicht gelungen war, die Mädchen zusammenzuhalten, machte Lydia wütend. Was konnte Anna denn dafür? Sie bat ihre Schwester um Verzeihung. Aber Anna redete kein Wort mit ihr. Am Abend zeigte sich, was die zu kleinen Schuhe angerichtet hatten. An Lydias Fersen hatten sich dicke Blasen gebildet. Schwester Nora behandelte sie auf die übliche Weise: Haut aufschneiden, ausdrücken, Jod und Vaseline darauf und ein Pflaster darüberkleben.
    »Daran wirst du noch eine Woche lang Freude haben«, sagte sie.
    »Nicht so schlimm. Ich darf ja sowieso vorläufig nicht aus dem Haus.«
    »Kannst froh sein, dass du keine Frostbeulen an den Zehen hast wie deine Zwillingsschwester. Die hat es erwischt. Ihre Zehen sind ganz rot und

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