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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melda Akbas
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aus meiner Familie versteht Arabisch, ich auch nicht, ich kann es nur lesen. Aber wir wissen alle, dass man am Sterbebett diese Sure liest. Man kann sagen, sie ist das Herz des Korans. Sie ist diejenige, die ich von allen Suren am besten lesen kann. Die erste Seite kann ich sogar auswendig. Es heißt, wenn man sie am Sterbebett liest, kommen für jeden Buchstaben, den man liest, zehn Engel herab. Die Sure hat dreitausend Buchstaben. Und jeder Engel, der herabkommt, setzt sich mit ans Sterbebett und betet, dass dem Sterbenden verziehen wird.
    Diesmal fiel es mir schwer, den Text zu lesen, ich verhaspelte mich mehrmals und brauchte fast eine Stunde. Immer hörte ich das Piepgeräusch, das Großmutters Herzschlag anzeigte. Je länger ich las, desto langsamer schien es zu werden. Nachdem ich die letzten Worte ausgesprochen hatte, vergingen noch etwa fünf Minuten, dann wurde es still. Großmutter war von uns gegangen.
    Später an diesem Tag traf sich die Familie in der Wohnung meiner Großeltern. Ich konnte mich nicht erinnern, sie jemals alle zusammen gesehen zu haben. Erst Großmutters Tod hatte sie wieder zusammengeführt. Anne kochte für alle, bereitete Tee zu, servierte, räumte ab und fand sogar noch Zeit für manche Unterhaltung. Nach allem, was sie mit Großmutter durchgemacht hatte, konnte sie ihr nicht besonders nahegestanden haben, doch das ließ sie sich nicht anmerken. Ich glaube, sie tat es für Baba. Ich kenne niemanden, der ein größeres Herz hat als sie. Dafür bewundere ich sie.
    Ich werde mich hüten, ein Urteil über Babas Familie zu
fällen. Jeder lebt sein Leben, wie er es für richtig hält. Es ist möglich, dass ihnen das Festhalten an den Traditionen mehr Sicherheit gibt in einem Land, das nicht automatisch zu ihrer Heimat geworden sein muss, nur weil sie hier leben. Aber ich denke auch, dass ihnen Deutschland weniger fremd sein würde, wären sie Neuem gegenüber aufgeschlossener.
    Für Baba ist das keine einfache Situation, er leidet darunter. Seine Familie ist ihm sehr wichtig. Aber irgendwie scheint er sich damit abgefunden zu haben, denn er unternimmt nichts mehr, um etwas daran zu ändern. Vielleicht weiß er einfach, dass es sowieso nichts bringen würde. Umso mehr sorgt er sich darum, dass wenigstens Anne sich gut mit ihrer Familie versteht. Kommt es zwischen ihr und ihren Geschwistern mal zu einem Streit, ist er der Erste, der zu schlichten versucht.
     
    Mit Annes Familienzweig treffen wir uns jedes Wochenende, das ist zu einem Ritual geworden, manchmal auch während der Woche, meistens auf einen Tee. Alle sind allerdings nie dabei. Onkel Erol, einer von Annes Brüdern, lebt mit seiner Familie in der Türkei. Mit einem anderen Onkel ist die restliche Familie zerstritten, der Kontakt zu ihm ist fast völlig abgebrochen. Außerdem fehlen Annes Eltern immer dann, wenn sie sich in der Türkei aufhalten. Das ist ungefähr die Hälfte des Jahres der Fall. Seitdem Großvater Rentner ist, verbringen sie die warme Jahreszeit in ihrer Wohnung in Samsun am Schwarzen Meer. Da sind die Sommer noch richtige Sommer. Außerdem hat Großmutter ihre Freundinnen dort. Für die kalten Monate kommen sie nach Berlin zurück, natürlich weil sie ihre Kinder
und Enkel schrecklich vermissen - und weil die Wohnungen hier besser geheizt werden. Man denkt es nicht, aber die Winter am Schwarzen Meer können richtig frostig sein.
    Der Rest aber ist eine ziemlich verschworene Truppe. Das heißt nicht, dass es zwischen ihnen nicht auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen würde. Ganz im Gegenteil. Meine Cousinen, Cousins, Tayfun und ich liefern immer wieder neuen Stoff, über den sich unsere Eltern herrlich in die Haare kriegen können, und das mitunter sehr ausdauernd. Ein einziges Thema kann für Monate reichen, ohne dass sich ihre Standpunkte einen Millimeter annähern. Es wird dann bei jedem Familientreffen wieder auf den Tisch gebracht.
    Zuletzt war meine mangelnde Ordnungsliebe, die Anne mir unterstellt, ein solcher Dauerbrenner. Überhaupt ging es schon viel zu oft um mich. Erst meine saloppe Kleidung. Die war vergessen, als ich mich weigerte, weiter in die Moschee zu gehen. Danach wollte ich nicht mehr auf jede Hochzeit mit - und so weiter. Manchmal nervt das ganz schön, aber mittlerweile habe ich durchschaut, dass man dem gar nicht entgehen kann. Ab einem gewissen Alter rückt man automatisch in die Schusslinie. Zuerst erwischte es meine älteren Cousinen und Cousins, irgendwann landeten sie bei Tayfun,

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