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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melda Akbas
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dann kam ich dran. Immer schön der Reihe nach, wie eine Gesetzmäßigkeit. Allerdings sollte man schon ein bisschen rebellieren, einen eigenen Willen demonstrieren, sonst könnte man übersehen werden. Nur die ganz Braven bekommen keine Chance, Familienthema zu werden. Ich muss mir da also keine Sorgen machen. Das Beste daran ist, dass es irgendwann vorbeigeht. Entweder wird man von einem der Nächstjüngeren in der Verwandtschaft
getoppt, oder man ist irgendwann alt genug, dass einem die Eltern einen eigenen Willen zugestehen oder auch einfach nur resignieren. Obwohl ich mir das im Moment noch schwer vorstellen kann.
    Aber mein Cousin Timur setzt gerade alles daran, mir den Rang abzulaufen, allerdings unfreiwillig. Der Junge ist erst dreizehn, er hat die Gesetzmäßigkeiten der Familiendiskussionen garantiert noch nicht erkannt. Ich würde sagen, er ist einfach überfordert. Typische Anzeichen von Pubertät. Timur ist ein begnadeter Fußballer, trainiert in einem Verein, will noch besser werden und setzt sich gewaltig unter Druck. Verständlich, dass die Schule dabei zu kurz kommt. Letztens brachte er eine Vier plus in einer Englisch-Arbeit mit nach Hause. Für Tante Hediye, seine Mutter, eine kleine Katastrophe, sie ist Perfektionistin.
    Aber das ist nicht alles: Timur leidet unter seiner kleinen Schwester. Seit sie auf der Welt ist, fühlt er sich von seinen Eltern weniger geliebt als sie. Und weil er sich darüber hinaus ganz prinzipiell oft unverstanden fühlt und nicht weiß, wohin mit seinen Emotionen, reagiert er manchmal aggressiv. Das kommt sicher auch in deutschen Familien vor. Was den Unterschied zu den türkischen ausmacht: Bei uns mischen sich die anderen in alles ein, selbst in Erziehungsfragen, in die sogar besonders gern. Wir finden das völlig selbstverständlich. So ist es seit jeher üblich. Wir kennen das gar nicht anders. Jeder muss zu allem seinen Senf dazugeben, sagen das die Deutschen nicht so? Wenn zum Beispiel Tante Hediye Timur in unserem Beisein anfährt, weil er seine Hausaufgaben nicht in seiner besten Schönschrift erledigt hat, wir das aber übertrieben oder ungerecht von ihr finden, gehen wir dazwischen. Das kann dann schnell
zu einem richtigen Spektakel ausarten. Jeder will seine Meinung zum Besten geben und meint natürlich, seine sei die einzig richtige. Dann fängt Tante Hediye an, sich zu verteidigen. Und schon erreicht das Ganze die nächste Stufe: Aus der Streitigkeit wird eine Streitigkeit über die Streitigkeit. Sozusagen der Gipfel unserer familiären Streitkultur.
    Die Sache mal ganz nüchtern betrachtet: Das hat Vorund Nachteile. Vorteile in erster Linie für Timur, der ein bisschen Unterstützung kriegt. Er wird auf diese Weise bald begreifen, dass er, mit etwas Geschick, seine Tanten gut gegen seine Mutter einspannen kann. Bei mir war das genauso. Ich nutze meine Tanten heute noch manchmal, um meine Mutter zu überreden. Aber auch die Nachteile liegen klar auf der Hand, nicht nur, weil dadurch Tante Hediyes Autorität untergraben wird: Wer hat nun recht? Nach wem soll ich mich richten? Lieben mich die Tanten mehr als meine eigene Mutter?
    Solche und viele andere Fragen können ein Kind ganz schön durcheinanderbringen. Auch daran erinnere ich mich gut. Und noch einen Nebeneffekt bringen solche Situationen mit sich, nicht immer, doch gelegentlich, die Streiterei muss nur hitzig genug werden. Dann kommen Dinge ans Tageslicht, die sonst wahrscheinlich niemals ausgesprochen worden wären. Das ist dann wie ein reinigendes Gewitter, das im ersten Moment einen Schock auslöst, einen dann aber zum Nachdenken bringt.
    Es ist noch gar nicht lange her, da hat es mich selbst erwischt, zufälligerweise auch bei Tante Hediye. Nach meinem Geschmack erwartet sie einfach zu viel von Timur. Natürlich will sie nur eine gute Mutter sein und das Beste für ihren Sohn, nur scheint sie ihn mit ihren Ansprüchen
zu überfordern. Das sagte ich ihr auch, als wir wieder einmal zusammensaßen und darüber diskutierten. Plötzlich bekam ich von ihr zu hören, dass ich keine Ahnung hätte und was ich überhaupt wolle, wo ich mir doch nie Zeit für meinen Cousin nähme! Das saß, wie eine schallende Ohrfeige. Und ich muss gestehen: Sie hatte recht, viel kümmere ich mich wirklich nicht um ihn. Ich hab ihn gern, mir fehlt nur die Zeit.
    Wir streiten aber nicht jedes Mal, wenn sich unsere Familie trifft. Oft tauschen wir uns einfach nur über das aus, was uns gerade beschäftigt. Arbeit, Schule,

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