So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
irgendwelche Sonderangebote im Supermarkt, Ikea-Möbel, Umzüge - und seit einiger Zeit häufig die Hochzeit meiner Cousine Deniz. Eine unendliche Geschichte, immer wieder gern zur Sprache gebracht, besonders weil sie Leon, einen Deutschen, heiratet und Großvater sich wünscht, Deniz’ zukünftiger Mann würde sich beschneiden lassen. Was für Leon und sie überhaupt nicht in Frage kommt. Aber auch sonst ist es ein spannendes Thema, denn Deniz stammt aus der Familie, zu der wir kaum Kontakt haben. Doch bis zur Hochzeit ist es noch ein Weilchen hin, ich werde also später davon erzählen.
Manchmal kreisen unsere Gespräche auch um Politik, besonders wenn Wahlen anstehen wie letztens die Bundestagswahl. Mich interessiert Politik zu jeder Zeit, wie Tante Zeynep auch. Sie nahm schon als Jugendliche an politischen Treffen des Türkischen Vereins teil. Heute zählen zu ihrem Freundeskreis türkische Intellektuelle, die eher links geprägt sind. Ihr Lebensgefährte war einer der Mitbegründer der Türkischen Gemeinde Deutschlands. Sie liest auch jede Woche den Spiegel . Bei Anne ist eher ein - ich
sag mal - Grundinteresse vorhanden, wogegen sich meine Großeltern kaum dazu äußern. Ich schätze, ihnen ist Politik ziemlich gleichgültig. Sie haben auch keine deutschen Pässe, dürften also sowieso nicht hier wählen. Für alle anderen von uns sind Wahlen eine wichtige Angelegenheit, einfach weil es um das Recht geht, mitentscheiden zu können. Das klingt sehr nach Schulbuch, ich weiß, aber wir sehen das nun mal so. Schon lange vor dem Termin besprechen wir ganz offen, wer wen wählen will. Meine Eltern entscheiden sich traditionell für die Sozialdemokraten. Ihre Überzeugung stammt aus der Zeit, als die SPD noch als die für Türken in Deutschland einzige in Frage kommende Partei galt. Unsere Verwandtschaft tendiert in dieselbe Richtung, manche kombinieren auch, einige mit den Grünen, andere mit der Linkspartei.
Beinahe hätte ich es vergessen: Fußball spielt natürlich auch immer wieder eine Rolle, vor allem wenn Europaoder Weltmeisterschaften stattfinden. Dann sehen wir uns die Spiele der türkischen Mannschaft alle gemeinsam an. Baba, Tayfun, Timur und Onkel Cemal sind ohnehin große Fans, aber selbst Onkel Kaan sträubt sich nicht, obwohl er sich sonst nicht besonders für Fußball interessiert. Es ist höchst amüsant, unseren Clan beim Fußballgucken zu beobachten. Erst herrscht große Anspannung, alle fiebern mit, vergessen fast zu atmen, wenn es spannend wird. Sobald ein Tor fällt, natürlich für unsere Mannschaft, gehen wir ab wie Silvesterraketen, springen auf, jubeln und kreischen wild durcheinander. Fängt sie sich ein Gegentor ein oder verliert sie am Ende gar, fluchen die Männer und brüllen den Fernseher an, als könnte man sie auf diese Weise bis aufs Spielfeld hören. Lustig ist auch, dass selbst
wir Frauen zu Fußballexperten mutieren und immer feste unsere Kommentare abgeben.
Das ist überhaupt das Schöne an unseren Familientreffen: Es gibt keine reinen Männerthemen und auch keine, an denen sich nur die Frauen beteiligen. In dieser Hinsicht herrscht ausnahmsweise Gleichberechtigung, obwohl natürlich nicht jeder von jedem gleich ernst genommen wird. Aber sagen dürfen alle, was sie denken und was ihnen auf dem Herzen brennt.
Ansonsten wird bei den Zusammenkünften noch gegessen - türkische Speisen wie Kabak , ein Gebäck aus gezuckertem Kürbis und Walnüssen - und getrunken. Schwarztee natürlich, den gibt es immer, er gehört zur türkischen Kultur wie Kaffee bei den Deutschen. Ich gehe morgens nie aus dem Haus, ohne Tee getrunken zu haben. Tee ist bei uns fast wie eine Religion. Wenn ich jemandem Tee serviere, bekunde ich ihm damit meinen Respekt. Außerdem ist es ein Zeichen dafür, dass man eine gute Hausfrau ist. Seit ich achtzehn bin, soll ich zu Hause immer den Tee zubereiten und dann auf einem Tablett servieren, so ist das üblich, doch meistens drücke ich mich davor. Manchmal habe ich nur keine Lust, aber oft sehe ich es auch nicht ein. Warum kann Baba sich nicht allein Tee zubereiten, wenn er doch sowieso nur vorm Fernseher hockt? Er sieht das natürlich anders, weil er immer bedient wird. Meine Mutter ebenfalls, weil sie es nicht anders kennt. Sie schimpft dann mit mir: » Evde kaldın.« Das sagt man im Türkischen, wenn ein Mädchen oder eine junge Frau in häuslichen Dingen so ungeschickt ist, dass sie kein Mann heiraten möchte. Das ist mir aber egal. Ich drücke mich ja
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