Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melda Akbas
Vom Netzwerk:
klarer wurde mir, worauf er es abgesehen hatte. Ich hätte nie gedacht, dass man das jemandem ansehen kann, einfach so. Und noch ehe diese Erkenntnis in
mein Gehirn gewandert war, spürte ich seine Lippen auf meinen …
    Mein erster Kuss! Und was für einer. So schmeckte sie also, diese verbotene Frucht, von der ein islamisches Mädchen wie ich nicht probieren durfte, nicht ohne Eheversprechen. Die Zeit blieb stehen und raste doch gleichzeitig, sodass es mir vorkam, als würden Stunden vergehen, bis sich unsere Münder trennten. Als ich wieder zur Besinnung kam, meldete sich auch mein Verstand zurück. Ein wenig überstürzt fand ich seine Kussattacke ja schon. Aber ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass sie mir nicht gefallen hätte. Und das ist noch ziemlich untertrieben.
    Was mich nicht weniger verblüffte: Warum stellten sich bei mir keine Schuldgefühle ein? Ich hatte gesündigt, daran gab es nichts zu deuteln. Meine Religion verbot mir schon, dass Batu meine Hand hielt. Jetzt hatte ich mich sogar von ihm küssen lassen. Aber nichts, Fehlanzeige auf der ganzen Linie, von Reue keine Spur. Ich mochte diesen Jungen, ich war dabei, mich in ihn zu verlieben. Liebe ist ein ehrliches Gefühl, gegen das man nicht ankommt, ein zutiefst menschliches, ganz gleich, was der Islam dazu meint. Das sollte also eine Sünde sein? Von mir aus, dann war es eben eine Sünde, eine verdammt schöne.
    Das schlechte Gewissen stellte sich auch später nicht ein. Ich schwebte wie auf einer Wolke nach Hause. Mein Geburtstag! Mein erster Kuss! Von Batu! Meinen Eltern gegenüber erwähnte ich die Knutscherei auf der Parkbank natürlich mit keiner Silbe. Sie wären sonst vor Wut und Verzweiflung in die Luft gegangen. Doch als ich später im Bett lag und darüber nachdachte, machte es mich traurig, dass ich mein kleines Geheimnis für mich behalten musste.
Damals war ich mir sicher, sie hätten mich eher verstoßen, als zu versuchen, die Gefühle ihrer Tochter zu verstehen. Ich weiß nicht, wie sie das hinkriegen: Was ihnen die Religion verbietet, verbieten sie sich automatisch selbst. Wenn keine Gefühle da sein sollen, sind eben keine da. Doch anscheinend kann man so etwas nicht vererben, bei mir funktioniert das nämlich überhaupt nicht. Ich weiß, dass ich etwas Verbotenes tue, aber es kratzt mich nicht, weil ich darin nichts Verbotenes sehen kann.
    Für meine Eltern existierte Batu auch gar nicht. Er und sie lagen auf der Landkarte meines Gehirns ungefähr so weit voneinander entfernt wie Istanbul von New York. Zwei verschiedene Welten, die ich in meinem Kopf komplett voneinander zu trennen hatte. Hätten Anne und Baba von Batu gewusst, garantiert hätten sie mir den Umgang mit ihm verboten. Wenn ich ihn wiedersehen wollte, und nichts wollte ich sehnlicher als das, musste ich ihn verschweigen und meine Gefühle vor ihnen verbergen. Sie durften nicht merken, dass es da einen Jungen gab, für den ich meine Ehre aufs Spiel setzte, nur so hatte ich eine Chance. Und, ehrlich, die Ehre war mir so was von egal. Meine Gefühle waren mir wichtig, und da Batu sie ausgelöst hatte, war er mir wichtig.
    Zugegeben, im Nachhinein klingt das einigermaßen abgeklärt. Aber das täuscht. Das liegt nur daran, dass ich inzwischen eine andere Brille aufhabe, die »Ich-bin-jetztzwei-Jahre-älter-und-schlauer-Brille«. Neue Gläser, neues Gestell, neue Sichtweise. Aber ich habe nicht vergessen, wie ich damals herumgrübelte, warum ich in unserer Familie so aus der Art geschlagen war. Wieso hatte ich keine Skrupel? Warum machte es mir nichts aus, einfach meinen
Gefühlen zu folgen? Ich musste ja nicht einmal gegen irgendwelche Gewissensbisse ankämpfen, sie waren gar nicht erst vorhanden. Oder irgendwo in mir so tief verschüttet, dass sie keine Chance hatten, an die Oberfläche zu gelangen.
     
    Damals war mir das nicht so klar, aber inzwischen weiß ich, dass Tayfun in dieser Hinsicht ähnlich gestrickt ist. Er hat auch kein Problem damit, zu sündigen. Deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben, das kennt er gar nicht. Nur ist das ein denkbar schlechter Vergleich, auch wenn es sich um meinen Bruder handelt. Türkischen Jungen werden viel mehr Freiheiten zugestanden als uns Mädchen. Das heißt, sie nehmen sie sich einfach, und meistens wird das auch toleriert. Sie dürfen sich nachts draußen herumtreiben und zu Hause aufkreuzen und wieder verschwinden, wann sie wollen. Ihnen wird viel früher erlaubt, allein, also ohne Familie, zu verreisen. Tayfun

Weitere Kostenlose Bücher