So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
Silber?«
Sie lacht. »Nein.«
»Was hast du noch so gesehen, irre Sachen, die Normalsterbliche nicht zu sehen bekommen?«
Sie hält inne, überrascht von der Herkunft deiner Frage aus dem für sie fast vergessenen Terrain des Staunens und der Demut.
»Schnee«, sagt sie und grinst.
»Du hast Schnee gesehen?«
Sie nickt. »In den Bergen. Er ist wie Magie. Wie pulverisierte Hagelkörner.«
»Wie das, was im Kühlfach ist.«
»Wenn er auf der Erde liegt. Wenn er fällt, ist er wie Federn.«
»Weich?«
»Weich. Aber er wird nass. Wenn du drin rumläufst, tut’s weh.«
Du stellst dir vor, wie sie durch ein weißes Tal streift, in der Ferne eine Villa. Der Oberkellner kommt wieder und bindet ein gestreiftes Tuch um eure Flasche, womit er sie bis auf den Hals diskret verdeckt.
»Und du?«, fragt sie und schenkt nach. »Was genau hast du für ein Geschäft?«
»Tafelwasser.«
»Das lieferst du aus?«
»Auch das. Ich stelle es her.«
»Wie?«
Du erzählst es ihr ganz lässig, erwähnst allerdings keine Probleme wie die ständige Erdgasknappheit oder die langen Zeitspannen, in denen der Wasserdruck zu niedrig ist und deine Pumpe nutzlos heult, weil sie den Speichertank nicht füllen kann.
»Das ist ja super«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Und das wird tatsächlich gekauft? Gerade so, als wärst du eines von diesen Großunternehmen?«
»Genau so.«
»Du bist ja ein Genie.«
»Nein.« Du lächelst.
»In der Schule haben alle immer gesagt, du bist ein Genie.«
»Oft warst du ja nicht da.«
»Lange genug.«
Du trinkst einen Schluck. »Hast du noch Kontakt zu jemand?«
»Nein.«
»Nicht mal zu deinen Eltern?«
»Nein. Die sind gestorben.«
»Ja. Meine auch. Ich meine, davor.«
»Ein paar Nachrichten. Von ihnen, und später, als ich dann im Fernsehen war, von Verwandten. Meistens Beschimpfungen. Oder sie haben mich um Geld gebeten.«
»Dann bin ich also der Einzige.«
»Du bist der Einzige.« Sie legt dir ihre langen Finger auf den Handrücken.
Du hast erst zweimal Alkohol genossen und nie so viel, dass du betrunken wurdest, daher ist dir diese Empfindung erhitzter, entspannter Zungenfertigkeit neu. Ihr beide esst und plaudert, lacht gelegentlich schallend in einer Lautstärke, die die anderen Gäste stört. In dir wachsen Wärme und heftiges Verlangen, ein Bewusstsein eurer Nähe. Doch euer Essen ist zu schnell vorbei und der Wein alle, und du richtest dich schon auf das Ende des Abends ein, als sie sagt: »Ich habe auf meinem Zimmer noch eine Flasche. Möchtest du raufkommen?«
»Ja.«
Sie nennt dir die Nummer und bittet dich, noch ein paar Minuten zu warten, bevor du ihr folgst. Du bist ratlos, wie du da überhaupt hinkommen sollst, willst aber auch nicht die Aufmerksamkeit der Security wecken, indem du nach dem Weg fragst, aber du folgerst, dass du den Fahrstuhl nehmen musst, und von da aus kannst du den Schildern in den Gängen folgen. Sie öffnet dir, als du klopfst, zieht dich herein und küsst dich hart auf den Mund.
»Ich habe keine Flasche mehr«, sagt sie.
»Schon in Ordnung.«
Du hältst sie in den Armen, umfasst diese vertraute, unvertraute Frau, spürst, wie sie atmet, schmeckst den Ort, wo ihre Wörter entstehen. Du ziehst sie aus, streichelst sie dabei. Du streichst ihr über den Schwung der Hüfte, des Kiefers. Du wiegst ihr Becken in der Hand. Nein, ihr seid euch nicht fremd. Du bist da, wo du sein solltest, endlich, also bleibst du auch da.
Der Sex mit dir scheint Grenzen zu verletzen, was ihre Lust noch steigert, auch wenn sie zu gedankenverloren ist, um den Akt ganz zu genießen. Du hast einen Hauch von Heimat an dir, emotional, aber auch körperlich, beispielsweise weil du kein Deo trägst, und für sie hat Heimat den Beiklang von Leid und Brutalität, ein Beiklang, der Signale von ihr an dich aussendet, hart mit ihr zu sein, die du aber missdeutest, weswegen es unausgeführt bleibt.
Sie macht gerade eine fragile Phase durch. Am Bogen ihrer Karriere zieht schon die Schwerkraft, und letztes Jahr hat sie zum ersten Mal einen Bruchteil dessen verdient, was sie in dem davor hatte. Sie ist sich bewusst, dass ihre Zukunft unsicher ist, dass sie gut und gern verarmen könnte, alt und einsam, eine in die Jahre gekommene Dame in einem kleinen Zimmer, die einmal pro Saison in großen Mengen Reis und Mehl kauft, oder, nicht weniger erschreckend, als Frau eines großen Kindes, das ständig kokst und chronisch zu unsicher ist, um in der Firmenzentrale seines Vaters viel
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