So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
ausgespuckt, um ihr Glück zu suchen, wieder andere sind als Gestrandete gekommen, als Flüchtige aus einer Heimat, in die sie aller Wahrscheinlichkeit nie mehr zurückkehren. Hier befindet sich auch das reale Zentrum deines Unternehmens. Du bist zum Sound des großen zischenden Durstes der Stadt reich geworden, der Durst ist ungestillt und wächst weiter, Wasser wird unablässig aus der Erde gefördert und in Röhren und Behälter gepresst. Hydrierung in Flaschen hat sich als lukrativ erwiesen.
Dein Büro, wenngleich strukturell nicht anders als seine schmalen, zweistöckigen Nachbarn, hebt sich durch seine goldgetönten und reflektierenden, von dir selbst ausgewählten und, um das mindeste zu sagen, eindrucksvollen Fensterscheiben heraus. Beim Betreten deines Gebäudes verspürst du den Unternehmerstolz, deine stets fleißigen Leute zu beobachten, wie sie über ihre Schreibtische gebeugt sind oder, wenn du weiter in den Wellblechschuppen dahinter gehst, über die Maschinen, die dort störungsfrei surren. Das hast du aufgebaut. Doch heute ist dein Stolz mit Besorgnis vermischt, du bist noch erschüttert von der Zerstörung des neuesten Zugangs zu deiner Transporterflotte.
Du rufst deinen Buchhalter zu dir und schließt die Tür. Durch eine goldbraune Scheibe siehst du, wie sich draußen ein überladener Bus mit seinen Aufbauten in Telefondrähten verheddert hat. Von der Straße unten erhebt sich Geschrei.
»Wie schlimm?«, murmelt der Buchhalter.
»Hin.«
»Total?«
Mit Mühe unterdrückst du eine Abfolge von Lästerungen. »Ich werde ihn ersetzen müssen. Haben wir genug für die Löhne?«
»Wir haben genug Cash.«
Die rechte Gesichtshälfte deines Buchhalters ist von einem Schlaganfall gelähmt. Er ist für seine Arbeit eigentlich nicht qualifiziert, aber das ist dir egal. Wie üblich schmierst du den Finanzbeamten, und deine frisierten Bücher sind lediglich Grundlage für Verhandlungen. Nicht egal ist dir, dass er mit Zahlen umgehen kann, was der Fall ist, denn er hat Jahrzehnte als Angestellter in einer der angeseheneren Buchprüfungsfirmen der Stadt gearbeitet.
Dein Buchhalter fürchtet, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Sein Antlitz ist schon zur Maske geworden, seine Teilstarre erinnert ihn an die seines Vaters in den Stunden nach dessen Tod, nachdem er gebadet, aber bevor er der Erde übergeben worden war. Oft stellt er sich das Gefühl vor, wie winzige Blutgefäße in seinem Gehirn platzen, ein sensorisches Sprudeln wie das Kribbeln eines eingeschlafenen Fußes. Meistens aber trägt er sein Schicksal mit Gleichmut. Seine Söhne haben Arbeit. Seine Tochter ist verheiratet, mit dir, einem Angehörigen seines Clans mit anständigen Werten und hervorragenden Aussichten. Er hat somit vollendet, was ein Vater am dringendsten vollenden muss, und während uns alle eine weitere Chance aufs Jungsein lockt, ist er stark genug, um an der Wahrheit festzuhalten, dass die Zeit so nicht läuft.
An jenem Abend gehst du erst spät, weil du viel zu tun hast, und ferner, weil du glaubst, dass es ein motivierendes Signal aussendet. Tief über der Stadt hängt die Mondsichel, und zwei Flughunde fliegen am Himmel, die riesigen Flügel schlagen durch die Luft. Du fährst die übliche Strecke und hörst Musik im Radio.
An einer Kreuzung klopft ein jungenhafter Motorradfahrer mit feinen Locken an dein Fenster. Du lässt es herunter, worauf eine Pistole auf deine Wange zeigt.
»Aussteigen«, sagt er.
Du tust es. Er dirigiert dich an den Straßenrand und sagt dir, du sollst dich mit dem Gesicht nach unten in den Dreck legen. Der Verkehr kommt und geht, aber niemand hält oder beachtet euch. Der Geruch gedörrter Erde füllt deine Nase. Er stößt dir den Lauf ins Genick, wo Rückgrat und Schädelansatz aufeinandertreffen, und dreht und reibt ihn hin und her. Er drückt dich schmerzhaft in Haut und Knochen.
»Du blöder Mutterschwanz«, sagt er, die Stimme hoch, fast vorpubertär. »Glaubst du denn, du kannst die über dir in den Arsch ficken?«
Du bewegst die Lippen, aber es kommt kein Laut heraus. Du spürst, wie Schleim auf deine Kopfhaut fällt, temperaturneutral und dick wie Blut.
»Das ist eine Warnung, du Schwesterficker. Du kriegst bloß eine. Merk dir, wo deine Grenzen sind.«
Er geht zu seinem Motorrad und fährt davon. Du stehst erst auf, als er weg ist. Du spürst ein scharfes Unbehagen in den oberen Rückenwirbeln und merkst, dass deine Autotür noch offen steht und der Motor die ganze Zeit gelaufen
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