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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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öffnete daraufhin ihre Handtasche
von der Größe eines Bundeswehrrucksacks und Hansi, ihr blauer Wellensittich,
flog, froh dem düsteren Gefängnis zu entkommen, heraus und flatterte nervös im
Flugzeug herum.
             „Mutter, spinnst du?“, sagte Onkel Manfred zu
ihr. „Wieso hast du Hansi dabei?“
             „Was sollt’ ich denn machen?“, rechtfertigte
sich Omma. „Zu Frau Plenzke konnte er nicht. Er und ihr Pauli vertragen sich
nicht.“
             Es war nicht ganz leicht, Hansi wieder
einzufangen. Viele Passagiere fühlten sich gestört, und jemand rief die
Stewardess. Aber Onkel Catcher konnte petzen nicht leiden. Der Mann, der die Stewardess
gerufen hatte, bekam von ihm eine geschallert.
             „Mal was Neues“, sagte Manna, „so eine Prügelei
hoch in der Luft“, stand auf und mischte mit.
             Fast hätte Onkel Catcher dem von der Stewardess
alarmierten Co-Piloten die Nase gebrochen. Onkel Manfred aber befahl dem
Co-Piloten, augenblicklich zurück ins Cockpit zu gehen.
             „Aber ganz schnell, mein Freundchen! Wenn wir
deinetwegen abstürzen, nur weil du hier deinen Arsch spazieren führst, dann ist
aber was los, das sag’ ich dir! Mich erst in diesen Steinzeitbomber lotsen, und
dann beschließen, rumzuspazieren, so was hab’ ich schon gerne!“
             Schließlich kam doch noch alles zur Ruhe. Die
Stewardess kümmerte sich um die Verletzten, und ich verkaufte Koteletts an die
Passagiere. Die restliche Zeit an Bord verging wie im Flug, und wir kamen
sicher in Konstanza an, wo Militär den Flughafen sicherte. Die Soldaten hielten
Maschinenpistolen in der Hand, und auf dem Rollfeld waren Panzer zu sehen.
             „Na, das geht ja gut los hier“, sagte Onkel Manfred.
             Ich teilte mir ein Zimmer mit Omma Zarth. Es
befand sich im elften Stock des Hotels. Der Ort, an dem wir nun waren, hieß
Neptun. Hier gab es fast nichts außer Hotels.
    Direkt nach der Ankunft setzten
sich Onkel Heinzi, Onkel Catcher, Manna und Onkel Manfred ins Foyer, um zu
trinken und Karten zu spielen. Ich lief währenddessen herum, um die Sachen, die
meine Eltern mir mitgegeben hatten, anzubieten. Statt Taschengeld hatte Mama
mir Dinge und Kleidungsstücke eingepackt, die man in Rumänien nicht kriegte:
Jeans, Damenstrumpfhosen, Tampons, Haarspray und dergleichen mehr.
             Ein Hotelangestellter kam und gab mir in
gebrochenem Deutsch zu verstehen, dass es verboten sei, Westwaren im Hotel zu
verkaufen. Dann wollte er wissen, was ich für die Jeans, die über meinem Arm
hing, verlangte. Ich folgte ihm auf ein kleines Zimmer, und er kaufte mir die
Jeans und eine Packung Tampons ab. Ich war nun stolzer Besitzer von zweihundert
Lei, marschierte stolz zur Bar und bestellte eine Cola.
     
    Hinter der Bar arbeitete Kristina. Sie war sechzehn, und
Onkel Heinzi hatte sie im vergangenen Sommer, als er mit seinem Freund Gallow
in diesem Hotel war, kennengelernt. Kristina hatte sich in Onkel Heinzi
verliebt. Ich verliebte mich sofort in Kristina.
             Auf dem Meer führten rumänische Kriegsschiffe
Sprengungen durch. Wenn man im Meer schwamm, trieben jede Menge toter Fische um
einen herum. Onkel Heinzi kaufte eine Luftmatratze und ließ sich von den Wellen
treiben. Abends, als wir ins Hotel zurückgehen wollten, fragte Omma Zarth: „Wo
ist eigentlich Heinzi?“
             Als ganz kleinen Punkt konnten wir ihn am
Horizont sehen. Er war auf der Luftmatratze eingeschlafen und mit der Ebbe aufs
Meer hinausgetrieben. Es dauerte Stunden, bis er an den Strand zurückgepaddelt
war, und auf seinem Rücken hatte er sich einen bösen Sonnenbrand geholt. Er
stöhnte und war völlig entkräftet. Kristina besorgte Salbe und rieb ihn
vorsichtig ein.
     
    Wenn ich nicht am Strand war, fuhr ich von dem Geld aus
meinen Warenverkäufen im Taxi herum und besah mir die Gegend. Sehr schön war es
außerhalb der Hotelviertel nicht. Einmal, als ich allein am Strand entlang lief,
traf ich auf ein Fischerdorf. Da sah es ganz komisch aus, und alle starrten
mich an. Die Kinder scharrten sich um mich, eines zeigte immer wieder auf
meinen Mund, bis ich begriff, dass es mein Kaugummi wollte. Ich nahm es heraus,
und das fremde Kind steckte es sich glücklich in den Mund.
    Die Armut der Kinder schnürte mir
das Herz zusammen.  Am nächsten Tag kehrte ich mit Kaugummipackungen aus dem
Intershop zurück; auch Zuckertütchen hatte

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