So zärtlich war das Ruhrgebiet
„Lau?“ Onkel Manfreds Brauen verschoben sich
aufwärts. „Du kriegst gleich lau aufs Maul!“
Vom anderen Ende der Theke rief ein Gast am
Geldautomat: „Was’n los da?“
„Norbert sagt, mein Bier schmeckt irgendwie
komisch.“
Der Gast blickte zu Manfred, schüttelte seinen
Zeigefinger und rief: „Komm du mir nach Hause, Püppchen!“ und konzentrierte
sich wieder auf den Geldspielautomat.
Aus der Musikbox dröhnte „Wenn die Rosen
erblühen in Malaga“ von Cindy & Bert, und Onkel Manfred nahm Norbert das
Glas aus der Hand und kostete selbst.
„Das schmeckt doch nicht lau. Das schmeckt
völlig normal.“
„Sprecht ihr vom Kotelett?“, fragte Röhm, der an
einem Tisch am Fenster saß und an einem Kotelett knabberte.
Onkel Manfreds Gesicht glühte inzwischen.
„Was denn? Schmeckt das Kotelett etwa auch
lau?“, wollte er wissen, und in seiner Stimme war nichts Freundliches mehr.
Röhm traute sich nicht mehr, etwas zu erwidern,
denn Onkel Manfred hatte bereits seinen Platz hinter der Theke verlassen, ging
auf ihn zu und riss ihm das Kotelett aus der Hand.
„Raus hier, Röhm! Und lass dich nie wieder
sehen!“
„Aber ich hab’ doch überhaupt nix gesagt.“
„Raus, oder es geschieht gleich `n Unglück. Ich
lass’ mich doch nicht verarschen von euch. Wer bin ich denn, hä? Euer Popanz,
oder was?“
„Komm du mir nach Hause, Püppchen!“, kam es
trunken aus der Richtung des Geldspielautomats.
Onkel Manfred hatte Röhm bereits am Kragen
gepackt und steuerte mit ihm dem Ausgang zu, als sich Winnetou erhob. Er lief
quer durch den Raum und nahm den Rest des Koteletts vom Teller. Er biss ab und
begann, mit sichtlichem Behagen zu kauen.
„Da!“, erklärte Onkel Manfred. „Winnetou
schmeckt es. Von wegen lau! Die hab’ ich heute Morgen selbst gebraten, die
Koteletts. Is’ kein Fertigscheiß. Die sind doppelt paniert.“
„Hat ja keiner was gesagt, gegen deine
Koteletts“, erwiderte Norbert. „Haben mir immer sehr gut geschmeckt. Nur dein,
Bier, Manfred, das schmeckt heute irgendwie …“
Weiter kam Norbert nicht. Onkel Manfred hatte
ihn bereits rückwärts vom Hocker gezogen und schleifte ihn nach draußen.
„Noch wer, dem mein Bier nicht schmeckt?“,
fragte er, als er wieder reinkam.
„Tu mich ma `ne Cola, Manfred“, sagte Werner
Sobotka, der neben der Musikbox stand und sich die ganze Zeit über nicht
eingemischt hatte.
„Wieso? Ist dir mein Bier plötzlich nicht mehr
gut genug?“
„Sobotka hat noch nie Bier getrunken, weißt du
doch, Manfred“, versuchte Gallow zu schlichten.
„Eben“, sagte Röhm. „Der trinkt doch immer nur
Cola und Kurze.“
„Könnt’ ich nich’“, erklärte Norbert, der wieder
zur Tür hereinkam. „Werd’ ich immer nur brall von.“
Gallow hob sein Glas und deklamierte: „Eines
leert uns die Erfahrung: Nach dem Essen, vor der Paarung, brauchen Männer
Flüssignahrung!“
„Mein Reden“, sagte Röhm, der wieder an der
Theke stand. Tu ma `n Bier, Manfred!“
„Aber wehe, du machst hier den Lauten!“, warnte
ihn Onkel Manfred und bediente den Zapfhahn.
„Herzflöte, ihr Luschen!“, war die Stimme meines
Vaters zu hören, der am hinteren Ecktisch mit Catcher und Herrn Wallert Karten
spielte.
„Ach, ist doch scheiße!“, rief Catcher, wandte
sich um und schrie zur Theke hinüber: „Hey, Manfred! Wieso schmeckt’n das Bier
heute so komisch? Das kann ja keine Sau trinken, das Zeug!“
Manfred stürzte sich auf seinen Bruder.
„Jetzt geht das wieder los!“, sagte Röhm.
Die Musikbox begann, ein neues Lied zu spielen,
irgendwas von Slade.
1976 – Keine Lust auf Arbeit: die
Biene Maja
Der offene Bürgerkrieg in Angola wurde für beendet
erklärt, der versteckte Buschkrieg ging jedoch weiter. Die beliebtesten
Vornamen waren Nicole, Sandra, Stefanie, Christian, Stefan und Jan, und nichts
ging über Bärenmarke. Die Arbeitslosenquote betrug 4,6 Prozent, und der
Nachrichtensprecher im Radio sagte,
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