Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
Vom Netzwerk:
Chinas Führer Mao Tse-Tung wäre gestorben. Im
ZDF war eine neue Serie gestartet, „Papermoon“, in der sich ein elfjähriges Mädchen
mit ihrem Vater mittels kleiner Betrügereien durch die Wirtschaftskrise im
Amerika der 30er mogelt. Das kleine Mädchen wurde von Jodie Foster gespielt.
    In Europa hatte die britische
Gruppe Sailor mit „Girls, Girls, Girls“ einen Hit, und aus Deutschland kamen
Boney M. mit ihrer Disco-Nummer „Daddy Cool“. Deren eine Sängerin war früher
einmal bei den Les Humphries Singers gewesen.
     
    Im Fernsehen wurde Nonstop Nonsens mit Dieter
Hallervorden gezeigt. Die ganze Schule sprach anderntags davon, nur ich hatte
die Sendung verpasst, weil meine Eltern Besuch gehabt hatten: Monika, die
Cousine meiner Mutter, mit ihrem Mann. Aber ich konnte mich nicht beschweren,
denn Monika hatte mir ein 1a Geschenk mitgebracht, die LP „Fireball“ der Gruppe
Deep Purple. Ihr sei die Musik zu hart, erklärte sie mir.
    Die Platte war eine Sensation!
Mehr noch: ein Erweckungserlebnis. Denn inzwischen ahnte ich, dass die Musik
von Alvin Stardust oder den Rubettes längst nicht das Ende der Fahnenstange
war, dass es Größeres geben musste, Musik, die einem in die Seele sprang und
kostbare Verheißungen machte: Rock!
    Schon die Fotos der Musiker im
Innencover machten es deutlich: Irgendwie sahen Ian Gillan, Ritchie Blackmore,
Jon Lord, Ian Paice und Roger Glover gefährlicher aus als zum Beispiel Brian Connolly,
Mick Tucker, Andy Scott und Steve Priest von der Gruppe Sweet. Auch die Musik
klang fremd und anders als alles, was ich bisher gehört hatte, irgendwie dunkel
und dämonisch, und es gab Lieder, die wesentlich länger waren als die drei Minuten
der Songs auf den Singles, die ich besaß: „Waterloo“ von Abba, „Ride A White
Swan“ von T. Rex und „Rock’n’Roll, Part 1 & 2 von Gary Glitter. Dass ich
mit der Musik auf dem Album nichts anfangen konnte, spielte gar keine Rolle.
Wichtig war, dass ich mit ihr eine Welt betrat, von der ich zuvor nur sehr
ungenaue Vorstellungen hatte. An diesem Abend, als ich in meinem Zimmer mit
meinen Legosteinen spielte und dem Album „Fireball“ lauschte, setzte ich zum
ersten Mal einen Fuß aus dem Käfig meiner Kindheit und erhaschte einen Blick
aufs Teenager-Dasein. Wie hätte Dieter Hallervorden dagegen anstinken können?
     
    Omma Zarth ging mit mir in die Stadt, um mir eine
Konfirmationsjacke zu kaufen,  ein dunkelblaues Samtjackett, das etwas zu groß
für mich war, damit ich es auch im nächsten Jahr noch würde tragen können. Ein
paar Tage später fuhr ich mit der Straßenbahn mit meiner Mutter erneut in die
Stadt, um eine passende Hose zu finden. Meine Hoffnung, endlich eine echte
Wrangler-Jeans vom US-Verkauf in einer Seitenstraße der Brückstraße zu
bekommen, erfüllte sich nicht. Bei C&A suchte sie eine beigefarbene
Stoffhose für mich aus. Anstatt neuer Konfirmations-schuhe sollte ich ein Paar
von Onkel Catcher bekommen, das er nicht mehr trug. Am Konfirmationstag war ich
der einzige, der ein Paar Schuhe mit vierzehn Zentimeter hohen Absätzen trug
und überragte alle, auch unseren Pfarrer. Als wir Konfirmanden in der Kirche
nach vorne zum Altar gerufen wurden, rutschte ich aus, versuchte mich am
Pfarrer festzuhalten und stürzte gemeinsam mit ihm zu Boden.
             „Verdammtes Schrankbett!“, hörte ich die Stimme
meines Vaters, als ich hochroten Kopfes Herrn Fängewisch wieder auf die Beine
half. Der Spruch, den er mit sauberer Handschrift in meinen Konfirmandenbrief
geschrieben hatte, lautete übrigens: „Selig sind die geistig Armen, denn ihrer
ist das Himmelreich.“ Sollte also doch noch Hoffnung für mich bestehen?
     
    Zur Konfirmation hatte ich von meiner riesigen
Verwandtschaft insgesamt eintausenddreihundert Mark bekommen und fühlte mich, als
ich montags den Laden von „Radio Grebe“ betrat, wie ein Fantastilliardär. Weil
es keine Platten von Deep Purple gab, kaufte ich drei von Status Quo und eine
von Ufo, außerdem noch eine von Amon Düül 2, „Wolf City“. Amon Düül 2 – was für
ein außergewöhnlicher Name! Allerdings war auch die Musik dieser Gruppe sehr außergewöhnlich.
Hätte ich stattdessen mal die Platte von Frank Zander gekauft.
     
    Der beste Song von Status Quo, so entdeckte ich zu Hause,
hieß „Roll Over Lay Down“ und war wirklich ein Hammer! Das tröstete mich ein
wenig über den Amon-Düül-2-Fehlkauf hinweg. Trotzdem nahm ich die Amon Düül 2
am Dienstag mit in die Schule

Weitere Kostenlose Bücher