So zärtlich war das Ruhrgebiet
ich gesammelt, aber beides reichte
nicht aus. Auf dem Rückweg zum Hotel fiel ich in den ungesicherten Schacht
eines Bunkers und schrappte mir die Beine auf.
Abends im Hotel spielten alle
wieder Karten, außer Ilona, die auf Manna wütend war. Sie habe sich den Urlaub
anders vorgestellt, sie habe keine Lust, immer bloß am Strand oder im Hotel
herumzuhängen.
Anderntags, als wir beim Pool
zusammen saßen, war plötzlich lautes Schreien zu hören. „Noch ein Wort, und ich
lass’ dich fallen“, dröhnte Mannas Stimme von oben herab. Als wir am Hotel
hochblickten, sahen wir Manna im dreizehnten Stock auf dem Balkon. An seinem
ausgestreckten rechten Arm hielt er Ilona über die Brüstung. Abends reiste sie
dann ab, und beim Kartenspielen sagte Manna kein Wort.
Nach den Ferien begann der Konfirmandenunterricht bei
Pfarrer Fängewisch. Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbild, erklärte er
uns. Als ich darüber zufällig mit Onkel Catcher sprach, sagte er: „Blödsinn!
Die ersten Menschen waren Neandertaler. Und wenn Gott die nach seinem Ebenbild
gestaltet hat, müsste er ja ebenfalls Neandertaler sein.“
Als ich Pfarrer Fängewisch in der nächsten
Konfirmandenstunde mit dieser Überlegung konfrontierte, reagierte er unwirsch.
Für die Zukunft, sagte er, solle ich mich in Fragen des Glaubens an ihn und
nicht an meinen Onkel halten.
Zum Frühschoppen fuhr mein Vater sonntags mit uns nicht
länger ins „Nordlicht“, sondern in die „Kleine Postkutsche“, die sein Bruder
Manni übernommen hatte. Seine Arbeitsstelle als Elektriker bei Hoesch hatte
unser Onkel dafür aufgegeben, worüber Tante Christa nicht begeistert war.
„Jetzt hängt er noch öfter in der Kneipe rum als früher“, war ihr Kommentar.
Dagegen waren wir Kinder umso begeisterter, denn Onkel Manfred hatte in seiner
Kneipe etwas, was woanders nicht zu finden war, nämlich einen echten Indianer,
den alle Winnetou nannten. Angeblich hatte Onkel Manfred ihn in Hamburg auf der
Reeperbahn entdeckt; wie er aber nach Deutschland gelangt war, konnte niemand
erklären. Jedenfalls hatte Winnetou einen beruhigenden Einfluss auf die Gäste,
auch wenn er nicht viel mehr tat, als still an einem Tisch in der Ecke zu
sitzen.
„Guckst du meiner Regine noch einmal in den
Ausschnitt, gibt`s `nen Satz warme Ohren. Ham wa uns verstanden, mein Freund?“
„So tief, wie der ihr Ausschnitt ist, brauchste
dich gar nicht wundern, wenn ich mal `n schnellen Blick riskier’.“
„Freundchen, ich hab’ dir gerade was gesagt!“
„He, ihr zwei, hört ma auf zu streiten. Was soll
denn der Indianer von uns denken? Der glaubt noch, ihr seid Wilde.“
„Selber Wilder!“
„Von wegen. Der hat sogar `ne elektrische
Zahnbürste, Kollege. Die hast du aber nicht.“
„Wofür auch. Hat ja kaum noch Zähne.“
„Und du gleich auch nicht mehr, wenn du mir
krumm kommst, Kollege.“
„Wie bei den Hottentotten hier. Winnetou muss
auch denken: Wo bin hier nur gelandet, alter Schwede?“
Anders als früher stand ich, wenn
Papa uns mit zum Frühschoppen nahm, nun nicht mehr am Flipper, sondern bei den
Erwachsenen und spitzte die Ohren. Erste philosophische Einsichten in die
tieferen Schichten des Lebens wurden mir zuteil.
„Bier schmeckt heute komisch, Manfred!“
„Mein Bier schmeckt komisch? Mein
Bier schmeckt überhaupt nicht komisch! Was mir hier nicht schmeckt, sind deine
blöden Kommentare, Freundchen.“
„Sei mir nicht böse, Manfred, aber das schmeckt
heut’ wirklich komisch. Echt jetzt.“
„Gallow“, rief Onkel Manfred, „komm mal her!
Norbert meint, mein Bier schmeckt heute komisch. – Hier, trink mal.“
Onkel Manfred reichte Gallow ein Bier über die
Theke. Gallow trank und verkostete den Schluck Export in seinem Mund wie einen
teuren Wein.
„Und? Schmeckt doch nicht komisch, oder was?“,
insistierte Onkel Manfred.
Langsam schluckte Gallow das Bier herunter und
sagte: „Hm, weiß nicht … Schmeckt tatsächlich anders als sonst. Ehrlich,
Manfred. Nicht dass du glaubst, ich würd’ hier Scheiße erzählen.“
„Hab’ ich doch gesagt, schmeckt komisch heute“,
schaltete sich nun auch Norbert wieder ein. „Irgendwie lau.“
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