Socrates - Der friedvolle Krieger
Denn als ich das tat, war ich einer von ihnen geworden.«
»Aber Sie sind doch keiner von denen! Sie waren doch im Recht!«
»Wenn man mit Monstern kämpft, wird man selbst zum Monster«, wiederholte der Alte. »Es liegt mir noch immer auf der Seele und ich kann das, was ich getan habe, niemals ungeschehen machen. Niemals. Verstehst du nun, warum ich dich unterwiesen habe? Weil ich hoffe, dass du nicht denselben Fehler begehst wie ich.«
Sergej war so weit, dass er sich eine andere Zukunft vorzustellen vermochte, aber ein Schwur, an dessen Erfüllung er ein Drittel seines Lebens gearbeitet hatte, konnte nicht so leicht beiseite geschoben werden.
»Selbst wenn ich nicht mehr auf Rache aus bin, so muss doch jemand diese Männer aufhalten. Warum also nicht ich?«
Seraphim sah ihm forschend in die Augen. »Vielleicht hast du ja Recht. Vielleicht solltest du wirklich gehen und Jagd auf sie machen, sie alle töten. Sie leiden lassen, so wie du gelitten hast. Aber glaubst du wirklich, dass es damit zu Ende ist? Du solltest auch ihre Kinder töten, denn sie werden dich verfolgen. Töte sie, dann wirst du eine Hölle kennen lernen, die weit höllischer ist als jene, die du bisher gekannt hast. Es kann aber auch passieren, dass du gar nichts fühlst. Vielleicht macht es dir sogar Freude, sie leiden zu sehen. Wenn das geschieht, dann weißt du, dass du das Böse geworden bist, das du zerstören wolltest.«
Nach einiger Zeit fügte Seraphim noch etwas hinzu. »Deine Lieben werden erst dann Frieden finden, wenn du Frieden gefunden hast, Socrates. Stelle dir also die Frage, auf welchem Weg du Frieden erlangen kannst. Musst du wirklich in den Krieg ziehen, um Frieden zu finden? Wird er sich erst einstellen, wenn dein Schwur erfüllt ist? Oder kannst du hier und jetzt Frieden erschaffen? Wer sich mit sich selbst im Krieg befindet, wird immer verlieren. Nur wenn du Frieden mit dir selbst schließt, wirst du ein wahrer Krieger werden.«
Er lächelte. »Ich verstehe die Tiefe deiner Gefühle und Überzeugungen, deiner Erinnerungen und Schwüre, aber nicht jedes Gefühl muss ausgelebt werden. Gleich ob du nun hier bleibst oder fortreitest, du solltest dich dem höheren Willen Gottes hingeben. Meistere deine Gefühle, so wie du auch einen Sturm meistern würdest. Baue dir eine Hütte aus Glauben und Geduld und harre darin aus, bis der Sturm weitergezogen ist. Befreie dich von der Tyrannei deiner Triebe, deines Verlangens und deiner Zwänge. Werde zum Krieger Gottes, zum Diener Gottes. Gott spricht durch dein Herz. Es wird dir den Weg weisen, ein wahrhafter Mensch und ein friedvoller Krieger zu werden.«
Seraphims Worte trafen Sergej mitten ins Herz. Aber eine letzte Frage konnte er dennoch nicht unterdrücken. »Und was ist mit diesen Männern?«
»Genug von diesen Männern!«, rief Seraphim aus. »Du bist ja von ihnen besessen. Haben sie nicht lange genug in deinem Kopf herumgespukt? Du solltest lieber fragen: ›Was ist mit dem Glauben? Was ist mit Gott? Was ist mit Mitgefühl?‹ Frage lieber, ob du den Mut hast, das Mitgefühl mit ihnen zu empfinden, das sie deiner Familie nicht gezeigt haben. Das ist der Kern der Lehre unseres Erlösers, den aber nur wenige hören wollen. Hörst du zu, Socrates?«
Seraphim fing wieder an, auf und ab zu laufen, als ob die Worte besser fließen würden, wenn er sich bewegte. »Wir wissen beide, dass du ein großer Krieger bist. Du hast gelernt, Krieg zu führen, aber kannst du auch Frieden führen? Du weißt, wie man stirbt, aber weißt du auch, wie man lebt? Willst du zerstören oder aufbauen? Willst du hassen oder lieben? Diese Fragen solltest du dir stellen. Das ist die Wahl, vor der du stehst.«
»Und das ganze Training?«
»Nichts ist je verschwendet. Du hast den Weg des Kriegers beschritten, also kämpfe! Kämpfe gegen Hass, kämpfe gegen Dummheit, kämpfe für Gerechtigkeit. Aber ich sage dir eines: Du kannst Dunkelheit nicht mit Dunkelheit besiegen, du kannst die Schatten nur bannen, indem du sie dem Licht aussetzt.«
Sergej hörte, wie Seraphim tief ein- und ausatmete, während er seinen Blick nach innen wandte. Dann sagte der alte Mönch: »So oder so, diese Männer werde auch ohne dein Zutun sterben.«
»Haben Sie eine Vision gehabt? Haben Sie das gesehen?«
»Keine Vision, ich weiß einfach, dass solche Menschen sich letzten Endes immer selbst zerstören. Sie werden auf jeden Fall sterben - so wie alle Menschen sterben müssen.«
Er sah Sergej direkt in die Augen. »Die
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