Socrates - Der friedvolle Krieger
genau an und hörte aufmerksam zu.
Am Abend des Sabbat, als das Gespräch einen Moment lang abgeflaut war, gab Sergej bekannt, dass er ein Geschenk für Paulina hatte. Er wollte ihre Hand ergreifen, aber sie entzog sie ihm. Seufzend legte er drei Edelsteine vor ihr auf den Tisch.
»Diese Juwelen«, erklärte er, »stammen von deinem Urgroßvater Heschel Rabinowitz. Davor haben sie seinem Vater gehört. Ich übergebe sie nun dir. Sie sind ziemlich wertvoll und sie werden es euch ermöglichen, ein neues Leben zu beginnen.«
Paulina sah staunend auf die Juwelen, die im Kerzenlicht funkelten. Sie sah Konstantin ungläubig an, dann wandte sie sich wieder Sergej zu. »Ich … ich danke dir … Vater.«
Dann sagte sie den Rest des Abends nichts mehr, weil sie tief in Gedanken versunken war. Ihr Verstand hatte akzeptiert, dass die Menschen, die sich um diesen Tisch versammelt hatten, ihre Verwandten waren: Vater, Großmutter, Onkel, Tante und Cousins. Und doch waren sie allesamt Fremde für sie. Selbst dieser tapfere, großzügige Mann namens Sergej Iwanow, der ihr Vater war und den sie erst seit kurzem kannte.
Nach dem Essen erzählte Sergej, dass er mit Paulina und Konstantin nach Amerika auswandern würde. Zum letzten Mal versuchte er, Valeria, Andreas und Katja davon zu überzeugen, mit ihnen zu kommen, aber auch diesmal ohne Erfolg. Er sah zu Paulina hinüber, die ihn anstarrte. Aber als sich ihre Augen begegneten, sah sie schnell weg.
Während Sergej über ihre Zukunft sprach, hatte sie über ihre Vergangenheit nachgedacht. Sie würde sie ein für alle Mal hinter sich lassen und sie niemals wieder erwähnen.
In der vorangegangen Nacht hatten Paulina und Konstantin noch einen anderen Entschluss gefasst.
In der darauf folgenden Woche war es Sergej bereits gelungen, die notwendigen Papiere für Paulina und Konstantin zu besorgen. »Ein bisschen Geld in die richtigen Hände gelegt, kann wahre Wunder bewirken«, erklärte er lächelnd. Außerdem hatte er drei Fahrkarten zweiter Klasse für den Dampfer Fürst Bismarck gekauft, der von Hamburg aus in die neue Welt fuhr.
Fünf Tage später und nach einem tränenreichen Abschied verließen Sergej, Paulina und Konstantin Sankt Petersburg, um über Finnland nach Hamburg zu reisen.
Während der ersten Tage der Überfahrt nahmen die drei ihre Mahlzeiten gemeinsam ein, aber da das laute Stimmengewirr im Speisesaal eine Unterhaltung erschwerte, wurde nur wenig geredet. Paulina und Konstantin sahen sich ständig verliebt in die Augen und flüsterten meistens miteinander. Nach ein paar Tagen sah Sergej sie kaum noch. Eines Abends bemühte sich Paulina besonders, Sergej mit in die Unterhaltung einzubeziehen. »Wir haben einige nette Leute kennen gelernt. Einer von ihnen, ein Geschäftsmann, hat Konstantins Zeichnungen gesehen und gesagt, dass sie ihm gefallen.«
Es war offensichtlich, dass sie etwas auf dem Herzen hatte, aber nicht wusste, wie sie es sagen sollte. Sie sah zu Konstantin hinüber, der ihr aufmunternd zunickte und sagte: »Eine bessere Gelegenheit wird sich nicht ergeben.«
Paulina wandte sich wieder an Sergej: »Sergej … Vater … Können wir nicht aufs Deck gehen, irgendwohin, wo wir ungestört miteinander reden können?«
Nachdem sie einen windgeschützten Platz auf dem Deck gefunden hatten, versuchte Paulina zu sprechen, aber die Worte, die sie im Geist immer und immer wieder gesprochen hatte, blieben ihr im Hals stecken. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, holte tief Luft und sagte: »Ich möchte dir dafür danken, dass du Konstantin das Leben gerettet hast. Du hast so viel für uns getan. Was du alles durchgemacht hast, um mich zu finden. Deine Güte …«
Sergej wollte etwas sagen, aber sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Dann sprudelten die Worte nur so aus ihr hervor: »Ich bin froh, dass du mein Vater bist. Du bist ein guter Mensch und vielleicht habe ja auch ich etwas Gutes in mir.«
Paulina kam wieder ins Stocken. Sie schluckte schwer, schloss die Augen und fügte hinzu: »Du hast erreicht, was du dir vorgenommen hattest.« Wieder zögerte sie einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: »Man hat Konstantin Arbeit in Kanada angeboten und wir beide werden dort hingehen. Allein.«
Paulina sah Sergej an und erkannte, wie sehr ihn ihre Worte getroffen hatten. In ihren Augen standen Tränen, aber sie biss die Zähne zusammen und wischte sie sich entschlossen fort. »Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich bin eine erwachsene Frau
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