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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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Bibliothek seines Onkels. Wladimir Iwanow verfügte über eine beeindruckende Sammlung von Büchern, sodass Sergej über alle möglichen Gebiete lesen konnte - von religiöser Philosophie über Militärwissenschaft bis hin zu den griechischen Klassikern wie Plato, in dessen Werken das Leben und die Lehren von Socrates und anderen Weisen und Staatsführern beschrieben waren.
    Sergej entdeckte, dass bestimmte Sätze in ihm Einsichten erweckten, über die er vorher nie nachgedacht hatte. Fragen, die er sich nie zuvor gestellt hatte, drängten sich nun plötzlich mit Macht in den Vordergrund: Was ist der Sinn des Lebens? Was macht ein gutes Leben aus? Sind die Menschen von Natur aus tugendhaft oder egoistisch? Manchmal musste er das Buch, das er gerade las, schließen, die Augen zumachen und seinen Kopf in die Hände stützen, weil sein Herz vor Aufregung raste - nicht nur wegen der Worte, die er las, sondern vor allem wegen dem, was sie in ihm auslösten. Es kam ihm vor, als ob er in seinem Geist ein unbekanntes Land nach dem anderen entdeckte.
    Am ersten Herbsttag des Jahres 1887 feierte Sergej seinen fünfzehnten Geburtstag. Er dachte an seine Mutter - so wie er an jedem seiner Geburtstage an sie dachte -, legte sich das Medaillon um den Hals und versteckte es unter seiner Bluse. Er hatte es sich angewöhnt, es fast täglich zu tragen. Er ging dieses Risiko ein, da ihm das Tragen seines Schatzes in einer Welt, in der es nur wenig Freude gab, Freude bereitete. Nach Einbruch der Dunkelheit, vor dem Training oder vor den kalten Bädern früh am Morgen, versteckte er es weiterhin in seiner Matratze.
     
    Im Dezember desselben Jahres stattete Kommandant Iwanow den Kadetten einen seiner seltenen Besuche ab. In den letzten Monaten hatte Sergej wenig von seinem Onkel gesehen, weil dieser ein eher scheuer Mensch war, der lieber hinter den Kulissen arbeitete. Deshalb wusste er gleich, dass etwas Wichtiges vorgefallen sein müsste. Ohne jede Einleitung oder Erklärung sagte der Kommandant nur: »Wenn euer Name aufgerufen wird, tretet vor!« Er fing an, Namen von einer Liste vorzulesen. Sergej hörte die Namen mehrerer älterer Kadetten, dann seinen eigenen und dann die von den Tüchtigsten unter den Jüngeren, darunter auch Andrejs. Er trat gemeinsam mit den anderen Aufgerufenen vor. Warum man wohl gerade uns ausgewählt hat? , fragte er sich. Als sein Onkel den letzten Namen auf der Liste vorlas - »Kadett Dimitri Sakoljew« - wusste Sergej, dass, ganz gleich für welchen Zweck sie auch ausgewählt worden waren, er nicht daran teilhaben wollte.
    Dann verkündete sein Onkel kurz und knapp: »Ihr zwölf seid für die Spezialausbildung ausgewählt worden. Ihr werdet Elitesoldaten werden und später möglicherweise zur Leibgarde des Zaren abkommandiert werden. Herzlichen Glückwunsch.« Aus dem Mund des Kommanda nten klangen diese knappen Worte wie eine große Belobigung.
    Aus den Augenwinkeln konnte Sergej sehen, wie seine Kameraden stolz lächelten. Er freute sich, dass auch Andrej Grund dazu hatte. Aber Sergej war nicht nach Lächeln zu Mute, denn wieder einmal hatte sich sein Leben nach dem Willen anderer Menschen verändert. Und ob er es wollte oder nicht, er würde Sakoljew von nun an noch öfter sehen als bisher.
    Kommandant Iwanow entließ alle Kadetten bis auf die zwölf Erwählten. Als die anderen weg waren, ging er langsam vor ihnen auf und ab und wählte seine Worte mit Bedacht, so als ob er Geheimnisse verraten würde, die nur für die Ohren einiger Auserwählter bestimmt waren.
    »Bis jetzt«, begann Sergejs Onkel, »habt ihr gelernt, was alle Soldaten lernen müssen: die Grundlagen des Ringens und Boxens, Reiten, Schwimmen, Waffenkunde, Militärstrategie und Überlebenstraining. Die anderen Jungen werden ihre Fertigkeiten auf diesen Gebieten nun weiter vervollkommnen. Aber Elitesoldaten wie ihr brauchen ein Elitetraining.«
    In Gedanken versunken schritt er eine Weile auf und ab. »Lange vor der Geburt von Christus unserem Erlöser trieben griechische Kaufleute Handel mit den Stämmen, die an den Ufern des Schwarzen Meeres lebten. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Sarmaten von den Goten überrannt, die später von den Awaren besiegt wurden. Vor zwölfhundert Jahren mussten die Nachfahren der Wikinger ostslawischen Völkern weichen, die sich in einem Land niederließen, das damals Kiewer Rus genannt wurde und heute Ukraine heißt. All diese unterschiedlichen Völker, die einhundertvierzig verschiedene Sprachen und

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