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Socrates - Der friedvolle Krieger

Titel: Socrates - Der friedvolle Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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Fell stundenlang im Bach weichen, bevor sie das Haar und Fleisch abschaben konnten. Dann mussten sie es mehrmals waschen, um auch die letzten Fettreste zu entfernen. Sie konnten das Fell natürlich nicht richtig gerben, da sie weder Salz noch Kalk hatten, aber sie rieben es erst mit dem Gehirn des Hirsches ein, dann mit Asche vom Feuer, wie man es ihnen beigebracht hatte. Nachdem sie zum Schluss noch lederne Schnüre zurechtgeschnitten hatten, die die Lederhosen und -hemden zusammenhalten würden, sahen sie aus wie echte Waldläufer.
    Der letzte Tag verging wie im Flug. Sakoljew sprach Sergej nur an, wenn es unumgänglich war, aber auch dann war er kurz angebunden und sprach in einem beleidigenden Ton.
    Eine Stunde vor Anbruch der Dämmerung war Sergej allein im Lager. Er dachte gerade an den Rückweg am morgigen Tag, als er einen schwachen Schrei hörte. Zuerst dachte er, es habe sich um ein Tier gehandelt, und legte neues Holz aufs Feuer. Aber dann hörte er den Schrei wieder. Es war eindeutig Sakoljews Stimme. Schnell rannte er los, um herauszufinden, was geschehen war. Da hörte er es wieder: »Iwanow!«
    Sergej fand Sakoljew am Grund eines ziemlich steilen Abhangs. Er war so dicht mit schlüpfrigem Moos bewachsen, dass auch Sergej fast den Halt verloren hätte und abgestürzt wäre. Im Dämmerlicht konnte er sehen, dass Sakoljew sich abmühte, seinen Knöchel herauszuziehen, der zwischen zwei Steinen eingeklemmt war. Außer sich vor Wut - so als ob Sergej dafür verantwortlich wäre - schnaubte Sakoljew: »Steh nicht so blöd herum, du Idiot! Hol einen Ast, aber dalli!«
    Sergej hatte zwar das Messer bei sich, aber er hatte den Spaten, der auch als Beil dienen konnte, nicht mitgebracht. »Ich bin gleich wieder da!«, rief er und rannte so schnell er nur konnte durch den dunkler werdenden Wald, um den Spaten zu holen. Auf dem Rückweg sah er einen dicken, geraden Ast, der als Hebel benutzt werden konnte. Er hackte solange darauf los, bis der Ast endlich abbrach.
    Als er zu Sakoljew zurückkam, war der dermaßen außer sich vor Wut, dass er kaum noch sprechen konnte. Sergej war sich nur zu bewusst, dass diese Situation für Sakoljew die ultimative Schande sein musste. Sergej hatte sich nicht nur als besserer Fallensteller erwiesen, sondern auch noch einen großen Hirsch erlegt. Und nun rettete ausgerechnet Sergej der Heilige Sakoljew das Leben.
    Sergej wusste, dass alles geschehen könnte, wenn er den Älteren aus seiner misslichen Lage befreite. Aber er war sich sicher, dass er weder Dank noch Anerkennung ernten würde. Es kam ihm der Gedanke, Sakoljew einfach sich selbst zu überlassen. Aber er verwarf ihn gleich wieder.
    Nachdem es ihm gelungen war, den Ast unter einen der Steine zu schieben, dauerte es nicht mehr lange, bis Sakoljew seinen Fuß herausziehen konnte. Sein Knöchel war zwar geprellt, aber nicht gebrochen. Sergej sah in weiser Voraussicht davon ab, Sakoljew noch weitere Hilfe anzubieten. Er gab ihm den Ast als Krücke und ließ ihn allein. Als er zum Lager zurückging, überkam Sergej eine böse Vorahnung. Er wusste, dass er sich mit dieser Rettungsaktion einen Feind fürs Leben gemacht hatte.
     
    Als Sakoljew schließlich ins Lager zurückgehumpelt kam, tat Sergej so, als wäre er damit beschäftigt, seinen Unterstand weiter zu verbessern. Er wusste, dass ein einziges Wort oder ein einziger Blick Sakoljew explodieren lassen würde. Zudem musste er tatsächlich das Dach verstärken, denn die tief hängenden Wolken kündigten starken Regen an. Er hoffte, er würde in dieser letzten Nacht im Wald gut und trocken schlafen können.
    Aber er sollte überhaupt nicht gut schlafen. Er lauschte auf alle Geräusche, die sich von den niederfallenden Regentropfen abhoben. Irgendwann musste er dann doch eingeschlafen sein, denn er wachte mitten in der Nacht auf, weil es heftig donnerte und blitzte. Er riss die Augen auf, konnte aber außer den Kiefernzweigen seines Unterstandes nichts sehen. Aber er konnte nicht wieder einschlafen. Irgendetwas stimmte nicht. Als es wieder blitzte, sah er - oder glaubte zu sehen - direkt vor dem Unterstand zwei Beine und einen Rumpf. Er bewegte - vor Angst fast gelähmt - unmerklich seinen Kopf. Als es erneut blitzte, gewährte ihm das gleißende Licht einen kurzen Blick auf Sakoljew, der vor dem Unterstand hockte und ihn anstarrte. In der Hand hielt er ein Messer. Sergej war sich sicher, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
    Es war nur eine Sekunde lang hell. Sergej

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